Eine Katze kommt selten allein
auf.«
Er hielt inne, lächelte mich an und fügte hinzu: »Er kann es sich erlauben. Er ist der Boß.«
Ich bedankte mich und ging, nachdem ich für den nächsten Morgen einen neuerlichen Besuch angekündigt hatte. Der Angestellte blickte mich ausdruckslos an.
Während der nächsten vierundzwanzig Stunden kam ich mir wie ein Rennpferd vor dem Start vor – nervös und angespannt. Ohne Basillio kam ich nicht weiter, und ich mußte weiterkommen. Ich ging ins Kino. Ich las ein paar Szenen aus einem Stück von Jean Genet. Ich kraulte Bushy und jagte Pancho. Ich dachte an Charlie Coombs – zuerst voller Wut, dann voller Bedauern. Ich dachte an Harry Starobin – voller Trauer und beinahe kindlicher Sehnsucht. Und ich dachte an Jo – voller Mitleid und Wärme. Es war ein erschöpfender, nervenaufreibender Tag, der endlos langsam vorüberging.
Um Viertel vor neun am nächsten Morgen stand ich wieder vor dem Ladentisch des Flaggschiffs der Mutter-Courage-Kopierkette. Der Angestellte mit der Lederschürze erinnerte sich an mich, hob eine Klappe im Tresen, winkte mich durch und zeigte auf ein bestimmtes Büro in hinteren Teil des Ladens. Die Tür stand offen. An einem Schreibtisch saß ein Mann; sein Bürosessel war in Richtung Fenster gedreht. Als er meine Schritte hörte, wirbelte er herum.
»Mann Gottes, das Schwedenmädel!« Er sprang auf.
Ich lächelte und streckte die Hand aus. Anthony hatte mich immer ›Schwedenmädel‹ genannt, nachdem er herausgefunden hatte, daß ich aus Minnesota stammte, obwohl ich ihm hundertmal gesagt hatte, daß ich nicht schwedischer Abstammung sei.
Von seinem ergrauenden Haar abgesehen, hatte Tony Basillio sich überhaupt nicht verändert. Er war immer noch dünn, seine Haut unrein und sein Lächeln heimtückisch, als würde er ständig darüber nachdenken, wie er Chaos und Panik verbreiten könne.
»Weißt du, Alice«, sagte er in gespielt-ernsthaftem Tonfall, legte den Arm um meine Schultern und führte mich zu einem Sessel, »ich habe mich damals trotz deines Drängens geweigert, mit dir ins Bett zu gehen, und ich werde mich auch diesmal weigern. Also – willst du mich immer noch besuchen, oder bist du jetzt zu sehr am Boden zerstört?«
Ich lachte, bis mir die Tränen kamen. Tony Basillio verkörperte für mich eine längst vergangene, kostbare Zeit, als das Theater noch nicht als schlecht bezahlter, unsicherer Job betrachtet wurde. Damals war die Bühnenschauspielerei noch eine Art religiöse Berufung gewesen.
»Dein Name begegnet mir schon mal in den Zeitungen, Schwedenmädel, aber nicht besonders oft.«
»Nein, nicht besonders oft«, stimmte ich zu.
»Na ja, jedenfalls bist du der wahren Schauspielerei treu geblieben… bist nie ins Showgeschäft übergewechselt«, stellte er mit einem anerkennenden Grinsen fest, denn dies galt als schlimmer Verrat an der ernsthaften Schauspielkunst.
»Ich hab’s aber versucht«, erwiderte ich, und wir lachten uns krumm und schief.
»Denk immer daran, was der Meister gesagt hat«, erklärte Tony, nachdem wir uns beruhigt hatten.
»Welcher Meister?«
»Welcher Meister? Es gibt nur einen. Bert Brecht. ›Laß dich nicht in Erschöpfung und Verzweiflung locken‹, hat er gesagt… oder so ähnlich.«
»Wie ich sehe, hast du seinen Rat befolgt.«
»Und das will ich auch so halten.«
»Hör mal, Tony, ich bin eigentlich nicht zu dir gekommen, um über Brecht oder das Theater zu reden. Ich habe hundert Anrufe gemacht, bis ich dich endlich gefunden hatte. Ich brauche deine Hilfe.«
Bei dem Wort ›Hilfe‹ wurden Basillios Augen schmal.
»Ich brauche Informationen über Pferde.«
»Pferde?« fragte er erstaunt.
»Rennpferde.«
»Möchtest du ein paar heiße Tips für’s Wetten haben?«
»Nein. Information über das… Privatleben.«
»Wessen Privatleben?«
»Das der Rennpferde.«
»Rennpferde haben kein Privatleben. Sie rennen, und dann sterben sie.«
»Bei Cup of Tea war es anders. Er hat ein besonderes Leben geführt.«
» Cup of Tea war auch etwas Besonderes.«
»Ich schreibe an einem Buch über Cup of Tea .« Ich mußte ihm diese Lügengeschichte auftischen; anders wußte ich mir nicht zu helfen. »Und dazu brauche ich Informationen über seine Zeitgenossen. Keine Wettquoten oder so etwas. Persönliche Dinge. Ich habe vor ein paar Tagen mit einem Trainer namens Charlie Coombs Schluß gemacht, und…«
»Coombs? Den kenne ich. Hat er dich auf die Idee mit diesem Buch gebracht?« unterbrach Basillio mich.
»Genau«,
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