Eine Katze kommt selten allein
zu sagen, was er über mich erzählt hat! Ich habe das Seminar besucht, nicht du!«
Als die Frau daraufhin aus der Bar stürmte, blieb mir das Wort ›Seminar‹ haften. Ach Gott, wie schön es doch war, dieses Wort mal wieder zu hören. Wie lange war es her, seit ich ein Seminar besucht hatte?
Plötzlich fiel mir ein bestimmter, vergessen geglaubter Begriff ein: Dramatic Workshop. Dort hatte ich 1970 oder 1971 bei Saul Colin studiert.
In diesem Zusammenhang erinnerte ich mich an Anthony Basillio, den Bühnenbildner. Er war ein leidenschaftlicher Zocker gewesen und hatte die Pferderennbahnen unsicher gemacht. Ich lehnte mich zurück, voll ehrfürchtiger Scheu angesichts des Wiederauftauchens längst verloren geglaubter Erinnerungen.
Ja, natürlich, der wundervolle, wettverrückte Anthony Basillio würde mir helfen. Ich hatte ihn bei einer Vorlesung über Brecht am Dramatic Workshop kennengelernt. Der Gastdozent war kein Geringerer als Erwin Piscator gewesen, der ehemalige Direktor von Brechts Berliner Ensemble. Ein alter, hochintelligenter, schwieriger Mann.
Basillio hätte während der Vorlesung hinter mir gesessen. Er war hochgewachsen und mager und hatte eine unreine Haut. Vor allem aber war er ein lustiger Vogel gewesen. Einmal hatte er Fats, seine Katze, in einer Einkaufstüte aus Papier mit ins Seminar gebracht. Fats war die kräftigste und böseste Katze, die ich je gesehen hatte, gestählt durch unzählige Kämpfe auf den Straßen New Yorks. Der dicke Kopf ragte scheinbar ohne Hals aus dem mächtigen Körper, und das verrückte Biest fauchte und drohte ständig, mit den Krallen nach uns zu schlagen. Doch Anthony hatte uns damals gesagt, wir brauchten keine Angst zu haben; im Grunde sei Fats eine richtige Schmusekatze. Außerdem die einzige Katze in Manhattan, die Texte zu Rockmusik schreiben und beim Pferderennen stets den Sieger vorhersagen könne.
Als ich daran dachte, mußte ich laut lachen; dann bemerkte ich, daß die beiden Männer neben mir mich anstarrten. Verschämt nahm ich mein Weinglas und nippte daran.
Ich konnte mich erinnern, daß die Seminare in den alten Dramatic-Workshop-Studios stattgefunden hatten, an der Fifty-first Street und dem Broadway, gegenüber vom Kapitol-Theater. Nach den Veranstaltungen waren viele Seminarteilnehmer in eine Kneipe an der Eighth Avenue gegangen.
Damals hatten wir eine Zeit der Unruhe in der New Yorker Theaterwelt erlebt. Die verschiedensten radikalen Theatergruppen waren zu plötzlichem Ruhm gelangt, um dann genauso plötzlich wieder in der Versenkung zu verschwinden. Auch in der Zusammensetzung der Workshop-Besucher hatte sich diese bislang ungekannte Vielfalt gezeigt: Akademiker, Showgirls vom Broadway, Regisseure, Bühnenarbeiter, Techniker, berühmte und unbekannte Schauspieler, Kritiker, Produzenten, Rezensenten. Die verschiedensten Menschen mit den verschiedensten Vorbildungen hatten den Dramatic Workshop besucht.
Es war eine tolle, wilde, schöne Zeit gewesen.
Wenn wir nach den Seminaren in die Kneipe gegangen waren, hatte Anthony uns oft davon vorgeschwärmt, daß er an mehreren Bühnenbildern für Mutter Courage arbeitete, die diesem Brecht-Schauspiel vollkommen neue Dimensionen eröffnen würden. Manchmal hatte Anthony viel Geld dabei, gab jedem von uns Drinks und Cheeseburger aus und erzählte allen, er habe das Geld beim Pferdewetten gewonnen. Oft prahlte er damit, daß er seinen Lebensunterhalt allein von den Wettgewinnen beim Galopprennen bestreiten könne.
Einmal hatte Anthony sich so sehr aufgeblasen, daß es zu einer Schlägerei kam und wir anderen ihn aus der Kneipe warfen. Beim nächsten Treffen der Seminarteilnehmer hatte er sich entschuldigt und erklärt, daß er schon des öfteren dumm und unbesonnen gehandelt habe, da er in einem vergangen Leben ein Rennpferd gewesen sei. »Und jeder weiß«, hatte er gesagt, »daß Rennpferde dumme Tiere sind. Denn ob sie siegen oder nicht – sie bekommen immer das gleiche Futter.«
Ja, Anthony Basillio konnte mir bestimmt Auskünfte über Lord Kelvin und Ask Me No Questions geben.
Ich bezahlte den Wein und eilte aus der Bar. Eine Querstraße weiter fiel mir ein, daß ich meinen Hut vergessen hatte. Ich wollte schon zurückgehen, beschloß dann aber, den Hut ein andermal zu holen.
In meiner Wohnung schritt ich nervös auf und ab und versuchte mich zu erinnern, wer Anthony Basillio damals gekannt hatte und wer mir vielleicht Auskunft geben konnte, wo er heute zu Hause war. Ich schnappte mir
Weitere Kostenlose Bücher