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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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stürzte sie ein paar Stufen hinunter, rappelte sich aber sofort wieder hoch, riss den zweiten Schuh vom Fuß und lief weiter. Leider verschlimmerte sich Damians Zustand zusehends. Er hatte seine Aufforderungen zum Händeklatschen zwar eingestellt, stattdessen aber beschlossen, einfach einzuschlafen. »Mit geht’s prima«, murmelte er, und das Kinn sank ihm auf die Brust. »Ich brauch nur ein kleines Nickerchen, dann bin ich wieder topfit.« Sein Kinn sackte noch tiefer, seine Augenlider folgten, dann begann er zu schnarchen.
    »Wir müssen ihn hierlassen«, sagte Georgina. »Die bringen ihn schon nicht um, sondern notieren nur seinen Namen, und dann kriegt er eine Verwarnung. Damit ist die Sache gegessen.«
    »Ich lasse ihn nicht allein«, sagte Serena. »Wer weiß, was die mit ihm anstellen. Und was das alles für Folgen hat. Wenn sein Name bei einer Drogenrazzia aktenkundig wird, bekommt er vielleicht nie einen Pass oder ein Führungszeugnis oder einen Job in der Botschaft oder so.« Ihre Wortflut beschwor auf dieser schmutzigen Hintertreppe, auf der wir kauerten, ganz andere, glanzvolle Momente herauf, Bilder von Botschaftsempfängen, auf denen Damian brillieren würde, von Auslandsreisen und wichtigen Geschäften in der City. Ich ertappte mich bei dem Wunsch, Serena würde sich auch über meine Zukunft so wohlwollend besorgt äußern.
    Georgina war nicht überzeugt. »Das ist doch lächerlich«, sagte
sie. »Auf ihn sind die Zeitungen nicht scharf. Und nur darum geht es jetzt. Du bist auf jeden Fall für eine Schlagzeile gut. Lucy auch. Sogar ich bin eine Bemerkung wert. Er nicht. Lass ihn liegen, damit er sich ausschläft. Vielleicht kommen sie gar nicht bis hierher.«
    »Ich lasse ihn nicht zurück«, sagte Serena. »Wenn du gehen willst, dann ohne uns.«
    Ich erinnerte mich an Dagmars Ball, wo sie Damian ganz allein verteidigt hatte, während wir anderen alle schwiegen. So eine Schmach wollte ich nicht noch einmal auf mir sitzen lassen. »Ich helfe dir«, sagte ich. »Wenn wir ihn beide stützen, schaffen wir es schon.« Sie sah mich an, sichtlich dankbar, dass wir sie nicht beim Wort genommen und schutzlos den mongolischen Horden überlassen hatten. Also hievten wir Damian in die Senkrechte, ohne auf sein Protestgeknurr zu achten, und zu viert schafften wir es tatsächlich, ihn die Treppe hinunterzubugsieren. Wir eilten das Erdgeschoss entlang, hörten hinter den Mauern die lauten, empörten Proteste der Älteren, die angehalten und befragt wurden, dazu das Kreischen, Grölen und Singen der Jugend. Dann landeten wir im Souterrain, das wir nach Türen oder Fenstern ins Freie absuchten.
    Wir waren allein in einem dunklen Korridor, ein kleines Grüppchen gegen den Rest der Welt. Da ging eine Tür auf, und ein Mädchen streckte den Kopf heraus. »Hier ist ein Fenster, durch das man auf eine Gasse kommt«, informierte sie uns, und weg war sie. Ich kannte sie kaum, wusste nur, dass sie Charlotte hieß; ich werde immer in echter Dankbarkeit an sie denken. Anstatt umzukehren und uns ihre nützliche Entdeckung mitzuteilen, hätte sie auch, ohne kostbare Sekunden zu verschwenden, hinausklettern und sich aus dem Staub machen können. Wir folgten Charlotte in eine Besenkammer voller Bürsten, Staubwedel und Dosen mit Poliermitteln, und richtig, das Fenster darin war unvergittert und allem Anschein nach das erste Mal seit Kriegsende aufgerissen worden.
    Damian, der inzwischen fast im Koma lag, war nach wie vor das Hauptproblem. Wir zerrten erfolglos an ihm herum, bis Georgina, kräftiger als wir alle, sich schließlich bückte, ihre Schulter unter ihn schob, ihn in einer Art Rettungsgriff huckepack nahm und keuchend
auf die Fensterbank wuchtete. Serena und Lucy waren bereits ins Freie geklettert; die beiden packten Damian am Kopf und am Arm. Sie zogen, Georgina und ich schoben, und so bekamen wir ihn wirklich durch, wenn auch mit dem etwas unangenehmen Gefühl, bei der Geburt eines Elefantenbabys zu assistieren. Als Georgina sich durchquetschte, waren im Flur bereits Männerstimmen zu hören, und ich war wahrscheinlich der Letzte, der so in die Freiheit gelangte, bevor der Feind auch dieses Schlupfloch stopfte. Wir drückten das Fenster rasch zu und eilten bis ans Ende der Gasse; Georgina und ich schleppten Damian. Jeder wird verstehen, dass es zumindest ungewöhnlich war, einen großen jungen Mann, splitternackt bis auf Unterhose und Smokingjacke, durch die Gegend zu schleifen. Die Gefahr war erst gebannt, als Serena,

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