Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
Vom Netzwerk:
glaubte, jemand würde sich » an mich hängen« (ihre Formulierung) — und dieses Gefühl hatte sie bei Damian. Natürlich enthielt ihre Analyse auch ein Körnchen Wahrheit.
    Damian wachte in den frühen Morgenstunden auf, schätzungsweise gegen drei. Das weiß ich deshalb, weil er mir so lange »Bist du wach?« ins Ohr flüsterte, bis er mich auch geweckt hatte. Inzwischen war er wieder völlig nüchtern. »Ich bin am Verhungern«, sagte er. »Gibt’s hier irgendwas zu essen?«
    »Kann das nicht warten? Du kriegst bald Frühstück.«
    »Ich fürchte, nein. Ich mache mich gern selber auf die Suche, wenn dir das lieber ist.«
    Das schien mir die üblere Alternative, also quälte ich mich aus dem Bett und zog mir den Morgenmantel über den Schlafanzug, längst vergessene Kleidungsstücke, da ich wie fast jeder Mann irgendwann in den nächsten Jahrzehnten die traditionelle männliche Schlafbekleidung abgelegt habe. Ich tappte durch die Wohnung, Damian im Schlepptau. Nur mit Mühe konnte ich ihm Spiegeleier mit Speck ausreden, schließlich gab er sich mit einem Schälchen Cornflakes, Toast und Tee zufrieden. Ich trank eine Tasse mit, an den winzigen Küchentisch gekauert. Er begann zu lachen. »Was ist denn so lustig?«, fragte ich.

    »Der ganze Abend. Weiß Gott, was morgen darüber in den Zeitungen steht.«
    »Nichts über uns, das ist schon mal die Hauptsache. Die arme Terry.« Ihr Ball war ruiniert, Unsummen verschwendet, doch niemand schien deshalb unsere Gastgeberin zu bedauern. Ich fand es an der Zeit, ein bisschen Mitleid zu zeigen.
    Aber Damian schüttelte den Kopf. »Mach dir ihretwegen keine Sorgen. Sie bekommt dadurch eine Wahnsinns-Publicity. Wahrscheinlich wird noch vor Ende der Saison jeder sagen, das sei der Höhepunkt des Jahres gewesen.«
    »Vielleicht.«
    »Ja, vielleicht.« Rückblickend stellte dieser Ball für viele von uns tatsächlich einen Schlüsselmoment dar, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu einer verrückten Verbindung verschmolzen. Da brach die antiautoritäre, alles umstürzende Gegenkultur, die schließlich siegen würde (wenn auch nicht so, wie damals gedacht), durch die Türen unserer sicheren, kleinen Pseudo-Vorkriegswelt herein und spülte uns hinaus. Damian steckte noch eine Scheibe Plastikbrot in den Toaster. »Ich weiß gar nicht, woher dieser Heißhunger kommt. Macht Hasch hungrig?«
    »Da fragst du den Falschen.«
    Er sah mich an, zögerte und beschloss dann doch zu reden. »Du hast wohl einen ziemlichen Schock gekriegt, als du diesen Vorhang aufgezogen hast.« Ich schwieg. Nicht unbedingt aus Empörung oder aus Groll über ein Unrecht, das er mir angetan hatte. Sondern weil mir nicht einfiel, was ich sagen könnte, damit die richtige Botschaft bei ihm ankam. Weil ich gar nicht wusste, was die richtige Botschaft war. Er nickte, als hätte ich geantwortet. »Ich weiß, dass du auf sie stehst.«
    »Weiß sie das auch?«, platzte ich heraus. Ich konnte mich nicht beherrschen. Sind wir nicht manchmal erbärmlich? Merkwürdigerweise – und daran erinnere ich mich genau – wusste ich nicht, welche Antwort ich mir wünschte.
    Damian versenkte das Messer in die Butter und zuckte mit den Achseln. »Wenn ich es weiß, dann weiß sie es wohl auch.«

    »Und wie sieht’s bei dir aus?«
    Meine Frage war seltsam formuliert, und er blickte hoch. »Wie meinst du das?«
    Natürlich hätte ich ihn am liebsten geschlagen. Auf der Stelle, peng, mitten ins Gesicht, einen fiesen, wuchtigen, schmerzenden Fausthieb, der ihn rückwärts umkippen ließe. Und mit etwas Glück hätte er sich dann am Herd den Schädel eingeschlagen. Ich habe mich oft gefragt, wie es sich wohl in einer raueren Welt lebt, in einer Gesellschaft, in der man erst zuschlägt und dann Fragen stellt. Stets wird von uns erwartet, dass wir Gewalt als etwas Schreckliches verdammen, und natürlich ist sie auch schrecklich, aber es muss doch einen Ausgleich geben! »Meinst du es ernst mit ihr?«, fragte ich.
    Er lachte. »Spiel dich doch nicht so auf!«
    »Ich meine nur …«
    »Du meinst, du bist so eifersüchtig, dass du aus der Haut fahren könntest. Du machst dich nur so wichtig, damit du mich runtermachen kannst, mir aufs Butterbrot schmieren, dass ich nichts weiter bin als ein lächerlicher Parasit, und wahnsinnig sein muss, wenn ich von so schwindelnden, unerreichbaren Höhen träume.« Er bestrich seinen Toast noch dicker mit Orangenmarmelade und biss hinein. Ich musste natürlich zugeben, dass jedes seiner

Weitere Kostenlose Bücher