Eine Klasse für sich
als sich Sam 1985 mit der Tochter eines italienischen Automobilherstellers davonmachte. Jedenfalls blieb von unserem Dinnergrüppchen nur Terry für mich übrig, wogegen ich durchaus nichts einzuwenden hatte. Und wie es manchmal so ist, nahm der Abend seinen unvermeidlichen Lauf. Zu den schnellen Songs hüpfte noch jeder für sich herum, aber gegen ein Uhr früh, als die Lichter gedimmt und der momentane Hit Honey aufgelegt wurde, eine widerlich sentimentale Ballade über eine tote Geliebte, fielen wir einander wie selbstverständlich in die Arme und wiegten uns in dem langsamen Rhythmus, der am Ende eines Balls üblich war.
Überhaupt waren herzzerreißende, melancholische Schnulzen ein Markenzeichen dieser Ära. Bei näherer Überlegung ein merkwürdiges Phänomen, diese Lieder über Ehemänner, Ehefrauen, Freundinnen, Freunde, die bei Autounfällen ums Leben kamen, bei Zugunglücken, durch Krebs, vor allem aber auf dem Motorrad, um das sich ein regelrechter Kult rankte. Die eingängige, tränenreiche Gefühligkeit dieser Lieder muss den Nerv der Zeit samt unseren Illusionen über bahnbrechenden Umsturz und »Befreiung« getroffen haben. Die Bandbreite der Songs reichte von melodisch, aber handfest, wie Tell
Laura I Love Her , bis zu unerträglich schnulzig, wie Terry , Teenangel und, wenn wir schon dabei sind, Honey . Aber das herausragende Beispiel, der Song, der in mehr Badezimmern erschallte als jeder andere Tageshit, war eindeutig The Leader of the Pack von den Shangri Las. Eine Strophe hat mich immer fasziniert: » One day my Dad said ›find someone new‹ / I had to tell my Jimmie we’re through / He stood there and he asked me why / All I could do was cry / I’m sorry I hurt you, the Leader of the Pack. « Es ist kein Kunststück zu erraten, wer hier das Sagen hat: Dad. Der taffe Biker in Lederkluft auf dem blinkenden Feuerstuhl, das von Leidenschaft gebeutelte Mädchen, beide wissen genau, dass Widerrede keinen Zweck hat, wenn Dad ein Machtwort spricht: »Such dir einen andern! Aber sofort!« Wie der Text wohl lauten müsste, wenn der Song heute neu aufgelegt würde? »Und ich sagte zu meinem Dad: Fick dich ins Knie«? Mir fällt nichts ein, was den Zusammenbruch der traditionellen Familienstruktur und Disziplin knapper und gleichzeitig anschaulicher illustriert. Kein Wunder, dass ein großer Teil der Welt über uns lacht.
Jedenfalls verfehlte der traurige Refrain an jenem Abend seine Wirkung nicht, und als Terry und ich im großen, fantasievoll mit landwirtschaftlichem Gerät und Weizengarben geschmückten Festzelt unser Frühstück einnahmen, wussten wir beide, worauf wir zusteuerten, und mir war das nur recht. Wie sich die meisten von uns erinnern werden, gibt es vor allem in den Anfangsjahren der Jagd kaum Süßeres als das Wissen, dass die nächste Bettgenossin gefunden und willig ist.
Betrunken, wie ich war, fuhr ich mit Terry zu den Mainwarings zurück; Terry stupste mich immer wieder an, damit mir die Augen nicht zufielen. Wie mit unseren Gastgebern besprochen, war die Haustür nicht abgeschlossen. Wir schlichen die Treppe hoch, bemüht, möglichst wenig Lärm zu machen. Ich glaube nicht, dass wir vor unseren Zimmern auch nur einen Moment lang, der Form halber, zögerten. Ich folgte Terry ohne Erklärung oder Erlaubnis einfach in ihr Zimmer, schloss vorsichtig die Tür und kam zur Sache.
Eines der Probleme junger Männer, das sich wohl nie ändern wird, ist seit jeher der fatale Trieb, raketengleich auf alles loszuschießen,
was Spaß im Bett verheißt. Als die Mehrheit der Mädchen sich noch nicht darauf einließ, war dieser Drang wohl besonders ausgeprägt. Sobald wir eine Chance witterten und die kleinste Bresche in der Mauer der Tugend wahrnahmen, stürmten wir blindlings drauflos, ohne eine Sekunde zu überlegen, ob das Ziel wirklich so erstrebenswert war. Zuweilen setzte, leider verspätet, der Verstand ein und stellte die Unternehmung infrage. Meist allerdings erst im Bett, wenn es für einen Rückzieher viel zu spät war. Meine Generation war bei Weitem noch nicht so promisk wie die späteren, auch die Männer nicht, was immer uns alternde Hippies weismachen wollen. Die heutige Schrankenlosigkeit lag noch in weiter Ferne, aber wir standen am Beginn dieser Entwicklung. Dass ein Mann Anfang zwanzig noch keine sexuellen Erfahrungen hatte, war in der Generation unserer Väter eher die Regel, für uns aber befremdlich geworden, denn die meisten von uns strebten so viele Eroberungen wie
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