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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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Ausstattung gerettet, wie es damals öfter vorkam. Heute übrigens auch noch. Aber das Vermögen war wohl begrenzt, und Billie muss das Essen selbst gekocht haben. Beim Landadel wurde in den Sechzigern für Einladungen dieser Größenordnung bei Weitem nicht so viel Zusatzpersonal ins Haus geholt wie heute; die meisten Gastgeberinnen schwangen den Kochlöffel selbst, vielleicht noch dem Ethos der Kriegszeiten verpflichtet. Ich habe bereits erwähnt, dass das Essen nur selten gut war, oft nach unsäglichen Sammelrezepten gekocht, die aus Zeitschriften ausgeschnitten und in eigens dafür vorgesehene Blanko-Kochbücher geklebt wurden. Meist wurden ein, zwei Frauen aus dem Ort gebeten, beim Servieren und Abwaschen und dergleichen zu helfen, so auch an diesem Abend.
    Mühelos bewältigten wir die Vorspeise, die obligatorische Lachsmousse, die mit geschmacksnervtötender Regelmäßigkeit bei fast jedem Dinner aufgetischt wurde. Es folgte eine Art Schnitzel in klebriger Sauce, mit diesem und jenem bestreut und begleitet von Möhren, die zu furchterregenden Rosetten geschnitzt waren. Auch das überlebten wir. Aber noch vor der Nachspeise kam es zum ersten Donnergrollen. Ich saß wie üblich als unwichtiger Gast weiter unten am Tisch und sah, dass sich Lady Gregson, die Generalsgattin, an Sam Hoare zu ihrer Rechten wandte, als ihr Teller abgeräumt wurde. »War das nicht köstlich?«, fragte sie, was kaum als provokante Bemerkung aufzufassen war.
    Sam setzte schon zu einer zustimmenden Antwort an, da fiel ihm
der links von Lady Gregson sitzende Gastgeber ins Wort: »Köstlich vielleicht, aber nicht gerade originell.«
    » Was? « Billie Mainwarings schneidende Stimme brachte ihre Gäste zum Verstummen, auch jene, die nicht wussten, was hier gespielt wurde.
    Lady Gregson, eine nette, wenn auch nicht übermäßig scharfsinnige Dame, erfasste nun die Situation und warf rasch ein, bevor Peter zum nächsten Schlag ausholen konnte: »Wir haben gerade gesagt, wie hervorragend der letzte Gang geschmeckt hat.«
    Aber Peter hatte schon eine ganze Weile seinem ausgezeichneten Bordeaux zugesprochen, der die letzten Dämme wegschwemmte. »Ja«, sagte er. »Das Schnitzel schmeckt immer ganz hervorragend. Jedes Mal, wenn du es machst. Also mehr oder weniger jedes Mal, wenn jemand das Pech hat, in diesem Haus zu speisen.« Zu diesem etwas unglücklich gewählten Zeitpunkt erschien eine der Servierdamen und trat zwischen Lady Gregson und Peter. Sie präsentierte eine Platte mit Käsekuchen. »Du lieber Himmel, Schatz.« Peter verdrehte die Augen. »Nicht schon wieder.«
    »Ich liebe Käsekuchen.« Lady Gregson verschärfte ihren Ton, als witterte sie Rebellion, und sei entschlossen, Zucht und Ordnung durchzusetzen.
    »Was ist mit den Erdbeeren?« Peter starrte seine Frau feindselig an.
    »Wir essen Käsekuchen.« Billies Stimme hatte den Ausdrucksreichtum einer telefonischen Zeitansage. »Ich dachte, wir essen die Erdbeeren ein andermal.«
    »Aber ich habe sie für heute Abend gekauft.«
    »Wie du willst.« In der Luft lag eine Spannung, die mich an die damals so beliebten Filme über einen drohenden Atomkrieg erinnerte, eine weit verbreitete Angst zu jener Zeit. In der zentralen Szene ging es immer darum, ob der Präsident des Landes XY auf den Knopf drücken und damit den Krieg auslösen würde. Billie ließ ihre Worte einen Moment im Raum stehen und sagte dann: »Mrs. Carter, bringen Sie uns bitte die Erdbeeren.«
    Die arme Frau wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Sie sah
ihre Arbeitgeberin an, als wäre sie nicht recht bei Trost. »Aber die sind …«
    Billie schnitt ihr mit erhobener Hand das Wort ab. Dann nickte sie wie ein römischer Kaiser, der ein Todesurteil bestätigt, und wiederholte: »Seien Sie einfach so gut, Mrs. Carter, und bringen Sie uns die Erdbeeren.«
    Zuweilen kommen solche Zwischenfälle nicht ungelegen. Wie wir alle wissen, wird ein zähes Tischgespräch durch nichts so sehr belebt wie durch eheliches Gezänk. Aber dieser Streit hatte eine Schärfe erreicht, die zur Erheiterung der Gäste nicht mehr taugen wollte. Wenigstens brauchten wir nicht lange auf den nächsten Akt zu warten. Inzwischen hatte der Rest der Runde von dem umstrittenen Käsekuchen genommen, aber niemand aß. Ich sah, wie Sam Carina zuzwinkerte, und links von mir begann Terrys Stuhl zu erzittern, als sie ein Kichern unterdrückte. Von diesen unbedeutenden Ablenkungen abgesehen, saßen wir einfach da und machten uns aufs Schlimmste gefasst.

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