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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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Mrs. Carter kehrte zurück und steuerte mit einer Schüssel Erdbeeren auf Lady Gregson zu. Doch als sie davon nehmen wollte, wurde allen sofort klar, dass die Früchte beinhart gefroren waren und direkt aus der Gefriertruhe kamen. Die Arme lud sich einen Löffel voll auf ihren Teller, wo sie metallisch klickend landeten, wie Munition aus einem Magazin. Nun kam Peter an die Reihe, der sich sorgfältig und mit viel Klickklack eine große Portion auf den Teller häufte. Mrs. Carter rückte weiter vor, zum nächsten Gast und zum übernächsten, niemand wurde übergangen, niemand weigerte sich, davon zu nehmen, und so kullerten die harten, kleinen Kugeln auf sämtliche Teller. Auch auf den meinen, obwohl ich mir heute nicht erklären kann, warum wir nicht einfach höflich ablehnten, ein Recht, das schließlich jedem zusteht. Mit verwirrtem Blick zog sich Mrs. Carter in die Küche zurück, und dann machten wir uns an das Unterfangen, diese Granitbröckchen zu verspeisen. Der Leser kann gewiss sein, dass jede Konversation in diesem Raum erstorben war, in dem sich zehn Leute damit abmühten, kleine runde Steine zu essen. Einer blieb dem General in der Luftröhre stecken, und er warf den Kopf mit einem Ruck zurück wie ein angekettetes Tier.
Kaum war diese Hürde genommen, als bei der Frau des Gutsbesitzers plötzlich ein beängstigender Knacks zu hören war. Mit einem Aufschrei griff sie an ihren Mund und klagte, sie habe sich einen Zahn abgebrochen. Nicht einmal das bewegte unsere Gastgeber zur Generalamnestie. Wir knirschten, kauten, malmten, allen voran Peter, der immer wieder lächelnd an den Eisbömbchen lutschte, als ließe er sich köstlichstes Konfekt im Munde zergehen. »Sie scheinen sie ja zu genießen«, sagte Lady Gregson, deren Schicksal es heute Abend war, die stürmische See noch weiter aufzupeitschen, wo sie doch nur die Wogen zu glätten versuchte.
    »Es ist ein großes Vergnügen, etwas Ausgefallenes zu essen«, sagte Peter. »Jedenfalls in diesem Haus.« Er sprach laut und deutlich in das allgemeine, wortlose Knirschen hinein. Unweigerlich richteten sich alle Blicke auf seine Frau.
    Einen Moment lang glaubte ich, sie würde auf einen Gegenschlag verzichten. Weit gefehlt. »Du verdammtes Arschloch«, sagte Billie, die in ihrer Wut zu ihrem Standardvokabular zurückkehrte, wenn auch in recht gedämpfter Lautstärke. Ihre Worte entbehrten zwar der Originalität, aber nicht der Durchschlagskraft. Dann stand sie auf, beugte sich vor und packte die Schüssel mit dem Rest der eisigen Ungenießbarkeiten. Als kippe sie einen Eimer Wasser ins Feuer, schleuderte sie die Erdbeeren auf Peter und beschoss dabei auch die Runde, den Tisch und den Fußboden mit hüpfenden, schmerzhaft scharfen kleinen Munitionskörpern. Als krönenden Abschluss warf sie die Schüssel nach ihm, verfehlte ihn aber, da er sich rechtzeitig wegduckte, und zerschmetterte stattdessen einen dekorativen Weinkühler, achtzehntes Jahrhundert. In der anschließenden Stille hörte man nichts als schweres Atmen.
    »Sollen wir die Mäntel holen?«, fragte Lady Gregson munter. »Mit wie vielen Autos fahren wir zum Ball?« Im vorbildlichen Versuch, dem Unfug ein Ende zu setzen, stand sie auf, schob ihren Stuhl zurück, trat auf eine gefrorene Erdbeere und schlug der Länge nach hin, wobei sie mit dem Kopf gegen die Tischkante knallte. Ihr Abendkleid rutschte nach oben, enthüllte einen ziemlich schäbigen Unterrock und im rechten Strumpf eine Laufmasche, die aber
auch das Resultat des Sturzes sein konnte. Lady Gregson lag ausgestreckt am Boden, völlig reglos, und eine Schrecksekunde lang fragte ich mich, ob sie tot war. Die anderen fragten sich das vermutlich auch, denn keiner rührte sich von der Stelle oder sagte ein Wort, und eine ganze Weile verharrten wir in atemloser Stille. Dann erlöste uns ein leises Stöhnen wenigstens von dieser Sorge.
    »Alle müssen wir wohl nicht fahren, was meinst du, meine Liebe ?«, sagte Peter, der sich ebenfalls erhoben hatte. Damit war das Dinner offiziell beendet.
    Ich habe so weit ausgeholt, damit verständlich wird, warum ich in jener Nacht mit Terry im Bett gelandet bin. Schon auf dem Ball blieben wir zusammen, denn in Gesellschaft anderer, die diese Ereignisse nicht miterlebt hatten, hätte mir etwas gefehlt. Sam Hoare und Carina schien es ähnlich zu gehen, sie tanzten bald miteinander. Übrigens der Beginn einer Romanze, die zu einer Ehe, drei Kindern und schließlich zu einem Scheidungsskandal führen sollte,

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