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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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kenne hier niemanden«, fügte er mit einem Lächeln hinzu, das Grönland zum Schmelzen gebracht hätte. Mein Bild von Damian Baxter ist dermaßen von den kommenden Ereignissen überschattet, dass ich mich schwertue, meine ersten Gefühle hervorzugraben. Aber dass er damals auf Männer genauso wie auf Frauen und Kinder eine immense Anziehungskraft ausübte, steht außer Zweifel. Er sah sehr gut aus, auf eine gesunde, frische Art, umwerfend gut sogar mit seinen blitzenden, fast unerträglich blauen Augen und den dichten dunklen Locken, die er wie wir alle ziemlich lang trug. Dazu war er durchtrainiert und muskulös, ohne sportlich oder, schlimmer noch, kernig zu wirken. Er strahlte Gesundheit und Intelligenz aus, meiner Erfahrung nach eine ungewöhnliche Kombination, und sah aus, als schliefe er jede Nacht zehn Stunden und hätte noch nie einen Tropfen Alkohol angerührt. Was den Tatsachen allerdings keineswegs entsprach.

    »Na, jetzt kennst du wenigstens uns«, sagte Serena und streckte ihm die Hand entgegen.
    Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, dass er natürlich genau wusste, wer wir waren. Vielmehr, wer sie war. Er verriet sich ein paar Stunden später, als wir uns am Ecktisch eines drittklassigen, aber immer vollen Lokals in einer Seitenstraße der Magdalene Street drängten. Wir hatten noch zwei andere Studenten mitgeschleppt, als sich die Party auflöste, Serena war nicht dabei. Sie ließ sich nur selten zu solchen spontanen Unternehmungen hinreißen. In der Regel hatte sie einen guten, wenn auch nicht näher ausgeführten Grund.
    Der Kellner brachte die üblichen dampfenden Teller Bœuf bourguignon in fettglänzender Sauce, damals eines unserer bevorzugten Grundnahrungsmittel. Das soll keine Kritik an besagtem Etablissement sein, vielmehr ein Hinweis, wie und wovon wir uns ernährten, aber ich möchte nicht undankbar klingen. Berge von geschmortem Fleisch und billiger Rotwein waren ein großer Fortschritt gegenüber den Zumutungen zehn Jahre zuvor. Man kann und sollte über das Für und Wider der Veränderungen streiten, die unsere Gesellschaft in den letzten vier Jahrzehnten erfasst haben, aber kaum jemand wird die Verbesserung der englischen Küche nicht begrüßen, jedenfalls bis zur Ankunft von rohem Fisch und neuen Starköchen, die vom Durchgaren grundsätzlich nichts halten. Was den Briten in meiner Kindheit an Essen vorgesetzt wurde, war schlicht ein Albtraum: geschmacksneutrale Massenküche mit Gemüse, das seit dem Krieg vor sich hin köchelte. Besseres gab es nur in Privathäusern, und auch dort nur gelegentlich; sogar feine Restaurants servierten ihren Gästen prätentiösen Schnickschnack, garniert mit unsäglichen Rosetten grüner Mayonnaise. Und so freuten wir uns über die Bistros mit ihren karierten Tischdecken und Tropfkerzen in grünen Weinflaschen. Bereits zehn Jahre später zur Karikatur verkommen, waren sie damals unsere Rettung.
    »Warst du schon mal in Serenas Haus in Yorkshire?«, fragte Damian. Die beiden anderen sahen uns verwirrt an, aus gutem Grund, denn über Yorkshire oder die Claremonts war bislang kein Wort gefallen.

    Da hätten bei mir tausend Alarmglocken schrillen sollen, aber naiv, wie ich war, zog ich keinerlei Schlüsse. Sondern beantwortete treuherzig seine Frage.
    »Einmal, vor zwei Jahren. Aber auch nur zu einer karitativen Veranstaltung. «
    »Wie ist das Haus denn so?«
    Ich musste kurz nachdenken, denn ich hatte kein genaues Bild im Kopf. »Klassizistischer Bau. Ziemlich imposant, aber gefällig.«
    »Und groß?«
    »Ja, sehr groß. Nicht gerade Blenheim, aber doch groß.«
    »Ihr kennt euch vermutlich schon ewig?« Auch das ein Indiz, hätte ich genug Verstand gehabt, es als solches zu erkennen. Damian hatte damals eine ausgesprochen romantische Vorstellung von den »gehobenen Kreisen«, fühlte sich ausgeschlossen und wollte sich unbedingt Zutritt verschaffen. Schon 1968 ein etwas absonderlicher Ehrgeiz, auch wenn ihn viele teilten (und immer noch teilen). Absonderlich vor allem für eine starke Persönlichkeit, einen modernen, zielstrebigen, hoch motivierten Erfolgsmenschen wie Damian Baxter. In der anbrechenden neuen Gesellschaft würde er auf jeden Fall einen Platz finden. Was zog ihn an am verblassenden Glanz der Blaublüter, jener wandelnden Geschichtsbücher, die nur melancholisch stimmen? Bei denen ähnlich wie bei der Kartoffel das Beste unter der Erde liegt? Ich persönlich glaube an ein Jugendtrauma. Vor anderen, vielleicht vor seiner Flamme,

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