Eine Klasse für sich
kaum. Ich erinnere mich an den Erben eines Baronet aus unserer Nachbarschaft, der häufig betrunken und stets ausfallend war, weshalb meine Schwester und ich ihn faszinierend, meine Eltern aber abstoßend fanden. Das ging so weit, dass mein Vater ihm den Zutritt zu unserem Haus verbot, »außer wenn seine Abwesenheit Anlass zu Gerede gäbe«. Kaum zu glauben, dass ein solcher Satz noch zu unseren Lebzeiten fallen konnte! Ich weiß, dass wir schon damals über diese Anweisung lachten. Aber wir widersetzten uns nicht. Kurz, wir waren auf eine heute kaum vorstellbare Weise das Produkt unserer Herkunft. Da erhebt sich die Frage nach der Ursache des elterlichen Autoritätsverlusts. War es ein von langer Hand geplanter Umsturz, wie uns die rechtskonservative Presse weismachen wollte? Oder war die Zeit einfach reif dafür, wie für den Verbrennungsmotor oder die Entdeckung des Penizillins? Jedenfalls ist die Autorität der Eltern in
weiten Bereichen der Gesellschaft dahingeschmolzen wie Schnee in der Sonne.
Um jedoch auf jenes Frühjahr zurückzukommen: Ich wurde also zu einer College-Party eingeladen. Ich weiß nicht mehr, ob es sich bei besagter Party um eine offizielle Veranstaltung handelte oder um eine Privatfete, jedenfalls kamen wir uns alle enorm gescheit und auserwählt vor und sonnten uns im Ruf unseres Colleges, das noch immer als »hochnobel« galt. Wie erbärmlich heute, aus der müden Sicht der mittleren Jahre, solche kleinen Eitelkeiten doch anmuten, aber im Grunde waren wir harmlos. Wir hielten uns für erwachsen, was wir nicht waren, für vornehm, was wir auch nicht sonderlich waren, und für äußerst gefragt. Dabei steckte mir nach meiner traurigen Jugend das altbekannte, für die späte Pubertät so typische Gefühlsgemisch aus Stolz und Verzweiflung noch tief in den Knochen, wenn man sich hochnäsig für etwas Besseres hält, aber gleichzeitig an sozialer Paranoia leidet. Vermutlich machten mich diese inneren Widersprüche so angreifbar.
An den Moment, als Damian in mein Leben trat, kann ich mich noch genau erinnern. Bezeichnenderweise unterhielt ich mich gerade mit Serena, und so lernten wir ihn gleichzeitig kennen, was mir rückblickend weitaus bemerkenswerter vorkommt als damals. Warum Serena überhaupt da war, weiß ich nicht; sie gehörte nicht zu den College-Groupies. Womöglich hatte ein Bekannter sie mitgebracht. Ich kannte Serena damals erst flüchtig, nicht so gut wie später, aber immerhin waren wir uns schon vorgestellt worden. Heute unterscheidet man da nicht mehr so genau; Leute, die sich gerade einmal die Hand geschüttelt und einen Gruß zugenickt haben, erzählen herum, sie würden sich »kennen«. Manchmal versteigen sie sich sogar dazu, den anderen als »Freund« zu bezeichnen. Falls dem das gelegen kommt, werden beide diese Luftblase unterstützen, und fertig ist die Freundschaft. Auch ohne jede Grundlage. Vor vierzig Jahren waren wir uns der Abstufungen in einer Beziehung stärker bewusst. Was bei jemandem so weit außerhalb meiner Reichweite wie Serena auch anzuraten war.
Sie hatte das Licht der Welt als Lady Serena Gresham erblickt und
schien nicht im Geringsten an den Selbstzweifeln zu leiden, von denen wir anderen alle befallen waren. Damit hob sie sich von vornherein von uns ab. Aber sie »ungewöhnlich selbstbewusst« zu nennen, würde zu Missverständnissen führen, denn jede aufdringliche, dreiste Selbstdarstellung lag ihr fern. Sie kam nie auf die Idee, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wer oder was sie war. Weder fragte sie sich, ob die Leute sie mochten, noch bildete sie sich etwas darauf ein, wenn sie es taten. Sie ruhte in sich selbst, wie man heute vielleicht sagen würde, und das schon im Teenageralter; damit war sie etwas Besonderes, damals wie heute. Ihre sanfte Distanziertheit, die etwas Schwebendes hatte, fast als triebe sie unter Wasser, nahm mich auf den ersten Blick gefangen, und es sollten viele Jahre vergehen, bis sie nicht mehr mindestens jede halbe Stunde durch mein wehrloses Gehirn geisterte. Ich weiß jetzt, dass sie vor allem deshalb so unnahbar wirkte, weil sie sich für mich nicht interessierte – für die meisten anderen übrigens auch nicht –, aber damals war ich schlichtweg verzaubert. Sie verdankte ihre Aura des Besonderen nicht so sehr ihrer Schönheit, ihrer Geburt oder ihren Privilegien, obwohl alles reichlich vorhanden; nein, gerade ihre Unerreichbarkeit war es, die sie zur Traumgestalt entrückte. Und ich bin nicht der Einzige, für
Weitere Kostenlose Bücher