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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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verächtlich gemacht, ignoriert, womöglich von einem alkoholisierten Adelsspross beleidigt, fasste er den grimmigen Entschluss: Na wartet! Euch werd ich’s zeigen! Klischee hin oder her, dieses klare Ziel hat seit der normannischen Eroberung unzählige große Karrieren beflügelt. Doch falls es ein solches Trauma gab, habe ich nie davon erfahren. Als wir uns kennenlernten, hatte sich Damian bereits seinen persönlichen Mythos vom Adel zurechtgezimmert. Er glaubte, alle Mitglieder wären von Geburt an zusammengeschweißt zu einem winzigen, hermetisch abgeschotteten Club, der jeden, der Zutritt begehrt, als Feind betrachtet und die eigenen Leute mit unbedingter, skrupelloser Loyalität verteidigt. Da war natürlich etwas Wahres dran, die Haltung der Aristokratie war damit
recht genau getroffen. Aber wir lebten ja nicht länger unter der Knute von ein paar tausend Familien. In den Sechzigerjahren speiste sich die Londoner Gesellschaft – oder was von ihr übrig war – aus mehr Schichten, als Damian vermutete, und die Bandbreite ihrer Mitglieder war erheblich größer als früher.
    »Nein, so lange kenne ich Serena noch nicht, jedenfalls nicht richtig. Ich bin ihr zwar im Lauf der Jahre hier und da begegnet, aber wirklich miteinander geplaudert haben wir erst vor ein, zwei Monaten, bei einer Teegesellschaft am Eaton Square.«
    Er schien belustigt. »Eine Teegesellschaft?« Das klang tatsächlich leicht kurios.
    Diese Gesellschaft hatte Miranda Houghton in der Wohnung ihrer Eltern gegeben. Miranda war die Patentochter meiner Tante. Wie Serena hatte ich sie von Zeit zu Zeit gesehen, ohne dass wir uns groß angefreundet hätten, was aber genügte, damit sie mich auf ihre Gästeliste setzte. Solche Teegesellschaften gehörten zu den Eröffnungsritualen der Saison; wenn ich darüber berichte, fühle ich mich wie ein kauziger Archivar, der die untergehenden Traditionen der Inuit für die Nachwelt aufzeichnet. Die Mädchen wurden ermuntert, andere Debütantinnen zum Tee einzuladen, meist in den Londoner Wohnungen ihrer Eltern. So entstanden nützliche Freundschaften und Kontakte für die kommenden Lustbarkeiten. Die Mütter erhielten dazu von Peter Townend, dem inoffiziellen, aber allgemein anerkannten Organisator der Saison, eine Liste sämtlicher Debütantinnen des Jahres. Er verschickte diese Listen gern an alle für würdig Erachteten, ein nobles, wenngleich aussichtsloses Bemühen, den Einbruch der Moderne möglichst lange abzuwehren. Für die späteren Cocktailpartys und Bälle lieferte Townend dann Listen geeigneter junger Männer. An den Teegesellschaften hingegen nahmen nur wenige Männer teil, meist Bekannte der Gastgeberin, wie ich selbst einer war. Übrigens wurde bei diesen Treffen, wenn überhaupt, nur wenig Tee gereicht oder getrunken, und meinen Erfahrungen nach herrschte immer eine etwas gezwungene Atmosphäre, wenn sich die Neuankömmlinge zögerlich übers Parkett bewegten. Dennoch gingen wir alle hin. Schon früh im Jahr fieberten
wir den kommenden Ereignissen entgegen, egal, was wir später behaupteten.
    Ich saß in einer Ecke und unterhielt mich mit einem sommersprossigen, ziemlich geistlosen Mädchen über die Jagd. Da kam Serena Gresham herein, und an dem leisen Schauer, der alle Anwesenden erfasste, merkte ich sofort, dass sie bereits den Ruf eines Stars erworben hatte. Keine geringe Leistung, denn sie war denkbar zurückhaltend und überhaupt nicht arrogant. Zu meinem Glück saß ich neben dem letzten freien Stuhl, und so winkte ich ihr zu. Sie brauchte eine Sekunde, um sich an mich zu erinnern, dann durchquerte sie den Raum und setzte sich zu mir. Heute finde ich es interessant, dass sich auch Serena diesen Ritualen unterwarf. Zwanzig Jahre später, als die Saison zum Tummelplatz von Angebern und den Töchtern von ehrgeizigen Parvenüs verkommen war, hätte sie nicht mehr im Traum daran gedacht. Aber damals tat man eben, was von einem erwartet wurde, selbst eine scheinbar so unabhängige Person wie Serena.
    »Woher kennst du Miranda denn?«, erkundigte ich mich.
    »Eigentlich gar nicht«, antwortete sie. »Wir sind uns in Rutland begegnet, als ich meine Cousinen besucht habe.« Es war eines von Serenas Talenten, jede Frage rasch und ungezwungen zu beantworten, ohne die geringste Geheimnistuerei, aber auch ohne echte Preisgabe von Informationen.
    Ich nickte. »Dann machst du also den ganzen Debütantinnenzirkus mit?«
    Ich will meine Wichtigkeit nicht übertreiben, aber ohne meine Frage hätte

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