Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
Vom Netzwerk:
Serena das ganze Ausmaß des Unterfangens kaum bedacht. Sie runzelte die Stirn und überlegte kurz. »Keine Ahnung.« Ihr Blick schien auf eine unsichtbare, in der Luft schwebende Kristallkugel gerichtet. »Wir werden sehen«, fügte sie hinzu, und ich meinte zu spüren, dass sie nur zur Hälfte ein irdisches Wesen war. Genau das machte ihren Charme aus, man begriff sofort, dass sie sich jederzeit aus dem Leben der Normalsterblichen zurückziehen konnte. Ich war sofort bezaubert von ihr.
    Beim Essen erzählte ich Damian kurz davon. Fasziniert lauschte er jedem Detail, wie ein Anthropologe, der schon lange eine Theorie
als persönliches Credo verficht, nun aber den ersten empirischen Beweisen auf die Spur kommt. Ich habe den Verdacht, Serena war seine erste leibhaftige Aristokratin, und siehe da, sie enttäuschte ihn in keinem Punkt. Sie war tatsächlich genau so, wie man sich nach der Lektüre einer am Bahnhof gekauften Historienschmonzette eine aristokratische Heldin vorstellt: bildschön, abgeklärt und auf eine kühle, fast kalte Weise gelassen. Ungeachtet eigenen Wunschdenkens gibt es nur wenige Aristokraten, die diesem imaginären Prototyp lückenlos entsprechen, und es war Damians Glück oder auch Pech, dass er gleich zu Beginn seiner gesellschaftlichen Karriere auf diese Verkörperung des Ideals stieß. Die Begegnung mit Serena hatte für ihn sichtlich etwas wunderbar Befriedigendes. Hätte er allerdings bei seinen ersten Schritten in die noble Welt weniger Fortüne gehabt, wären die späteren Ereignisse für ihn womöglich glimpflicher verlaufen.
    »Wie kommt man auf die Gästeliste für diese Teegesellschaften? «, fragte er.
    Das Problem war, dass ich ihn mochte. Ein merkwürdiges Gefühl, wenn ich das jetzt zu Papier bringe, zeitweise hatte ich diese Tatsache völlig vergessen, aber ich mochte ihn wirklich. Er war amüsant, unterhaltsam und attraktiv, in meinen Augen stets eine Empfehlung, und er besaß, was inzwischen mit dem New-Age-Schlagwort »positive Energie« geadelt wurde, damals aber schlichtweg hieß, dass jemand einen nie langweilte. Eine Freundin beschrieb mir ihre Welt einmal als »bevölkert von Heizkörpern und Abflussrohren«. Wenn man so will, war Damian der Rolls-Royce unter den Heizkörpern. Er verbreitete in jeder Gruppe Wärme. Und er konnte in anderen den Wunsch wecken, ihm zu helfen; das gelang ihm auch bei mir.
    Diesmal konnte ich Damian aber nicht mit dem Gewünschten versorgen, weil er die Teegesellschaften bereits verpasst hatte. Diese kleinen, informellen Zusammenkünfte waren sozusagen Präliminarien, bei denen vorsortiert wurde und die Mädchen sich ihre Spielgenossinnen fürs kommende Jahr aussuchten. Als wir in Cambridge beim Bœuf bourguignon saßen, waren die Cliquen schon formiert und die Cocktailpartys hatten bereits begonnen. Als Erstes sollte ich
eine der Gesellschaften besuchen, die Peter Townend, der inoffizielle Zeremonienmeister der Saison, in seiner Londoner Wohnung gab. Wer jene gesellschaftlichen Riten erforscht, wird staunend feststellen, dass sie in den letzten zwanzig, dreißig Jahren ihrer Existenz von einem Niemand aus Nordengland zelebriert wurden, der selbst weder von Adel war noch über nennenswerte Mittel verfügte. Damian hatte den Namen Townend natürlich schon gehört; mit seiner Spürnase für lohnende Beute fragte er sofort, ob er mitkommen könne, und ich willigte ein. Kein geringes Risiko für mich, da Townend eifersüchtig auf seinen Machtstatus und seine Privilegien bedacht war, und wenn ich ganz lässig mit einem ungebetenen Gast auftauchte, sähe er seine Einladung dadurch womöglich abgewertet, und dann wäre mit ihm nicht zu spaßen. Trotzdem saß Damian Baxter auf dem Beifahrersitz meines zerbeulten grünen Mini, als ich eine Woche später in der Chelsea Manor Street parkte.
    Ich habe schon erwähnt, dass Peter seine Rolle äußerst wichtig nahm, aber das war auch sein gutes Recht. Er stammte aus einer bescheidenen bürgerlichen Familie, was er nie als Makel empfand, und nach einer Karriere als Journalist und Redakteur mit dem Spezialgebiet Genealogie entdeckte er eines Tages seine wahre Berufung: Er würde die »Saison« am Leben erhalten. Die Entscheidung Ihrer Majestät, die Vorstellung der Debütantinnen bei Hofe nach 1958 abzuschaffen, schien das Todesurteil für die Saison zu bedeuten. Doch wie wir heute wissen, zog sich das Hinsterben in die Länge. Vielleicht wäre eine rasche Hinrichtung besser gewesen, aber niemand kennt die

Weitere Kostenlose Bücher