Eine Klasse für sich
sie ihren Mann nie verlassen. Und wenn doch, dann bestimmt nicht meinetwegen, und wenn doch, dann hätte ich ihr nichts Vergleichbares zu bieten und und und. Ich wusste genau, dass sie nicht der Typ für Seitensprünge war, und selbst wenn ich mich diesbezüglich täuschte, wäre der Auserwählte bestimmt nicht ich. Ich hatte mich durch Reife und bescheidenen Erfolg zwar als Ehekandidat für einsame geschiedene Frauen qualifiziert, die nicht recht wussten, wie sie ihren Lebensabend finanzieren sollten. Aber
ich war nicht der Mann, der eine Frau zur Sünde verlockt, weder ein Beau noch ein Draufgänger.
Nein, die Zukunft, die für mich im Angebot war, zumindest die mögliche Zukunft, da von Angebot noch keine Rede sein konnte, bestand in der Rolle des Freundes, des Begleiters bei Spaziergängen, des stillen Verehrers. Der Literat, von dem sich die elegante, mit einem Deppen oder einem Arbeitstier verheiratete Frau manchmal zum Essen einladen oder im Theater den Mantel tragen lässt; der in der Villa in Amalfi die Gesellschaft bereichern und die anderen Gäste zum Lachen bringen darf. Wollte ich das? Diese Rolle hatte ich früher zur Genüge gespielt, aber wollte ich sie weiterspielen, mit Herzschmerz als Dreingabe? Dasitzen und der Frau, für die ich mein Leben hingegeben hätte, an den Lippen hängen, wenn sie von einem Wochenende in Trouville plauderte, einem Stück im Almeida-Theater oder ihren neuesten Einkäufen? Nein. Ein Mann hat seinen Stolz, dachte ich – mein Gehirn rotierte eindeutig immer noch im Leerlauf. Ich würde dieses Wochenende hinfahren. Ich musste ohnehin ein Gespräch mit Candida führen, das war ja der Aufhänger, aber dann würde ich einen Schlussstrich ziehen. Ich war beinahe am Ende dieser Suche, die mich durch meine eigenen alten Reviere geführt hatte. Aber nach Vollendung der Mission würde Candidas Kind das Geld bekommen, und Damian würde sterben. Ich würde nach Hause gehen, meine Bücher schreiben und Serena freundlich grüßen, wenn ich sie auf dem Sommerfest von Christie’s sah. Zu wissen, dass es ihr gut ging, würde mir genügen. Gelobte ich mir zumindest.
Waverly Park klingt romantischer, als es ist. Der ursprüngliche Sitz der Earls von Belton, Mellingburgh Castle, wurde von der Familie aufgegeben, als die Hauptlinie der Dynastie nach 1890 mit einer weiblichen Erbin ausstarb. Der Titel ging auf eine jüngere Seitenlinie über, was mit der Heirat mit einer finanzkräftigen Amerikanerin und dem Kauf eines neuen Familiensitzes gefeiert wurde: Waverly in Dorset, unweit der malerischen Küste. Die Ländereien schrumpften allerdings gehörig, nicht nur nach den beiden Kriegen, sondern auch in neuerer Zeit, da der alte Lord Belton das Erbe unzureichend gesichert hatte. Nach seinem Tod ließ sich nicht verhindern, dass die
Hälfte der Güter unter Andrews Geschwistern aufgeteilt wurde. Es herrschte wohl die Erwartung, dass sie ihren Teil edelmütig an den älteren Bruder zurückgeben würden, aber wie oft in solchen Fällen geschah nichts dergleichen. Mit dem Ergebnis, dass Andrew viel zu wenig Land übrig blieb, um das Haus zu unterhalten. Schlimmer noch, es mangelte dem Lord schmerzlich an Intelligenz, und so war er außerstande, zusätzliche Einnahmequellen zu erschließen. Vielleicht konnte Serena etwas Geld von ihrem Vater erwarten, aber Familien wie die Greshams wären nicht reich geblieben, wenn sie ihr Vermögen an sämtliche Kinder verteilt hätten; mit viel war also nicht zu rechnen.
Das Haus selbst war ziemlich groß, aber nicht weiter bemerkenswert. Seine Anfänge reichten bis 1660 zurück, doch aus dieser Zeit hatte nur die frei schwebende Innentreppe überlebt, das Schönste am ganzen Gebäude. Es war zweimal mit einer neuen Außenhülle umgeben worden; der Umbau von 1750 war gelungen, nicht aber der von 1900, veranlasst von den euphorischen, frischgebackenen Earls und neuen Besitzern: den Beltons. Ende der Vierzigerjahre wurde Andrews Großvater von der allgemeinen optimistischen Aufbruchstimmung erfasst und ließ den Dienstbotentrakt abreißen, siedelte die Küche in einen der Damensalons um und verwandelte die große Eingangshalle in eine Bibliothek. Der Eingang musste dabei zwangsläufig an eine Seite des Hauses verlegt werden, weg vom Hauptportal; die Eingangstür führt nunmehr durch eine Art Gang zur Treppe, die man von hinten erreicht, ein etwas ungewöhnlicher Blickwinkel. Der Kampf gegen die Architektur eines Hauses ist immer aussichtslos, so war es auch in
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