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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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beachten? Meine Fantasie, fiebrig erregt, ging mit mir durch. »Was kann ich für dich tun?«
    »Ich habe mich heute früh mit Candida unterhalten, und sie sagte, du hättest ihr aufs Band gesprochen, dass du sie sehen möchtest.«
    »Ich habe ihr sogar mehrmals aufs Band gesprochen. Ich dachte schon, sie sei ausgewandert.«
    »Sie war in Paris und ist erst gestern Abend zurückgekommen.«
    »Wunderbar, dass ihr noch Kontakt habt.« Kaum waren mir diese Worte entschlüpft, wurde mir klar, welchen Unsinn ich redete. Warum hatte ich das gesagt? Warum war es wunderbar? Warum sollten sie keinen Kontakt miteinander haben? War ich von Sinnen?
    »Sie ist meine Cousine.«
    Was ich hätte wissen sollen. Ich muss es gewusst haben. Ich habe es gewusst. Ganz genau sogar. Die beiden haben doch zusammen einen Ball gegeben, Herrgottnochmal. Den ich besucht habe. So was vergessen nur Idioten. Volltrottel. »Ach, natürlich!«, sagte ich leichthin.
»Natürlich seid ihr Cousinen. Daran hätte ich mich erinnern müssen.« Du lieber Himmel, wo würde dieses Gestammel noch hinführen? Zum Internationalen Deppentreffen? Warum klang alles, was aus meinem Mund kam, dümmlich und banal?
    »Ich habe mich jedenfalls gefragt, ob das nicht auch mit Damians Anliegen zusammenhängt.«
    Mir blieb das Herz stehen. Was hatte ich ihr erzählt? Hatte mich ihre unerwartete Anwesenheit auf Gresham so überrumpelt, dass ich alles ausgeplaudert hatte? War das möglich? Was hatte ich gesagt? Meine Gedanken flatterten herum wie ein Schwarm Raben, die keinen Baum zum Landen finden. Der Abend schien völlig aus meinem Gedächtnis gelöscht, obwohl ich mir einbildete, ich hätte jeden Moment abgespeichert. »Anliegen?«, wiederholte ich, um mehr Informationen aus ihr herauszukitzeln.
    »Du hast doch gesagt, Damian möchte, dass du ein paar von seinen alten Freunden besuchst. Das hast du mir in Yorkshire erzählt. Und nun frage ich mich, ob Candida auch dazugehört. Sie kann sich sonst nicht erklären, warum du sie wiedersehen möchtest.«
    »Da ist sie aber sehr streng mit sich. Mir fallen eine ganze Menge Gründe ein.«
    »Aber geht es darum?«
    »Darum geht es tatsächlich. Ich dachte, ich lade sie zum Mittagessen ein und erkundige mich, was sie so treibt. Mehr will Damian gar nicht wissen.«
    »Ich habe eine viel bessere Idee. Candida besucht uns nächstes Wochenende, da könntest du doch auch kommen. Zu uns. Wir würden uns sehr freuen.«
    Meine Verzweiflung über meine Blödheit war mit einem Schlag hinweggefegt – von den Flügeln himmlischer Heerscharen. »Das finde ich unglaublich nett von dir. Ist das wirklich dein Ernst?«
    »Unbedingt. Komm am Freitag zum Dinner. Und am Sonntagnachmittag fährst du wieder.«
    »So klare Regeln lobe ich mir!«
    Sie lachte. »Andrew braucht die Gewissheit, dass er das Haus zum Sonntagsdinner wieder für sich alleine hat.«

    Ich wette, dass er das braucht, dachte ich. Das alte Ekel. »Wie ist die Kleiderordnung?«
    »Samstagabend trägt er ein Jackett, aber ohne Krawatte. Sonst laufen wir die ganze Zeit in alten Klamotten rum.«
    »Also, wenn du sicher bist…«
    »Absolut. Ich schicke dir die Wegbeschreibung. Wir sind leicht zu finden, aber ich schicke sie dir trotzdem, wenn du mir deine E-Mail-Adresse gibst.«
    Was ich unverzüglich tat. Damit war die Sache geregelt.
    Nach diesem Gespräch saß ich einige Minuten lang tatenlos am Schreibtisch, unfähig, meine Gedanken zu ordnen. Die Einladung hatte in meinem Herzen ein Geläut von Silberglocken in Gang gesetzt, ein Jubeln und Jauchzen bei der Aussicht auf zwei ganze Tage, an denen ich mich an ihr sattsehen könnte. Aber nicht umsonst heißt es, der Weg ist das Ziel, und nun, da echte Chancen auf eine Renaissance der Serenissima in meinem Leben winkten, war ich nicht mehr ganz überzeugt, ob ich das so gut fand. Schuld an allem war natürlich Damian. Schuld, dass sie vor achtunddreißig Jahren aus meinem Leben verschwunden war, nach jenem Dinner, in meinen Augen der Anfang vom Ende. Und nun schuld an ihrer Rückkehr. Dass sie die Liebe meines Lebens war und immer bleiben würde, stand für mich einfach fest. Ehrlich gesagt fiel, wie ich es meinem Vater ja gestanden hatte, der Vorhang für die arme Bridget in dem Moment, in dem Serena mir wieder gegenüberstand. Die Erinnerung, was Liebe ist oder sein kann, hatte dem schalen Abklatsch, den ich mit Bridget erlebte, jeden Sinn genommen.
    Aber Serena hatte sich in ihrem Leben eingerichtet, und selbst wenn nicht, würde

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