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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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dachte. Natürlich war ich völlig abgebrannt. Meine Stiefmutter gab mir keinen Pfennig, und am Ende hatte sie auch nicht mehr viel zu geben. Wenigstens musste ich mich nicht mit Schuldgefühlen belasten, dass ich alle enttäuscht hätte. Tante Roo hat sich äußerst anständig benommen, wenn man bedenkt, dass sie mich für verrückt hielt. Meine Freunde taten das übrigens auch, nur zeigten sie es mir nicht so direkt.«
    »Ich weiß, dass du schließlich geheiratet hast.«
    »Richtig. Harry Stanforth. Seid ihr euch je über den Weg gelaufen? «
    »Sein Name kommt mir bekannt vor, vielleicht sind wir uns einmal begegnet, aber ich kann mich nicht erinnern, wo. Es hat mir wahnsinnig leidgetan, als ich erfahren habe, was passiert ist.«
    »Ja.« Sie lächelte kurz und freudlos, das Lächeln derer, die sich mit etwas Trostlosem abfinden müssen. »Es ist schwer, wenn so gar nichts zurückbleibt. Ich hatte immer solches Mitgefühl mit den Kriegsmüttern, deren Söhne im Ausland gefallen sind, die nie einen Sarg zu Grabe tragen konnten, und jetzt weiß ich selbst, wie das ist. Um zu begreifen, dass ein Leben zu Ende ist, braucht man ein richtiges Begräbnis, einen richtigen Toten, jedenfalls mehr als nur ein Foto, wie ich es hatte.«
    »Einen Abschluss.«
    »Sonst stellt man sich immer vor, dass er irgendwo im Koma liegt oder an Amnesie leidet oder dass er der Katastrophe entgangen ist, aber in Waikiki einen Nervenzusammenbruch hatte. Natürlich sage ich mir immer wieder vor, dass ich es akzeptieren muss und mich nicht an irgendwelche Fantasien klammern darf, aber es ist stärker als ich. Jedes Mal, wenn es unerwartet an der Tür läutet oder wenn spätabends das Telefon klingelt …« Sie lächelte schwach über ihre Unvernunft. »Irgendwann kommt man schon drüber weg.«
    »Wie schrecklich.«
    »Aber glaub bloß nicht, dass ich ein trauriger, bedauernswerter
Mensch bin. Bitte nicht.« Candidas Ton hatte sich verändert; sie sah mir unvermittelt in die Augen. Ich merkte, dass sie mich überzeugen wollte und dass sie selbst überzeugt war von dem, was sie sagte. Vermutlich ging es ihr darum, Harrys Andenken in Ehren zu halten. »Traurig war ich früher, bevor ich Harry begegnet bin. Da fühlte mich wie in einer Sackgasse, mit einem Jungen, der der Hälfte meiner Familie lästig war. Ich weiß, dass ihr mich damals alle lächerlich fandet.«
    »Lächerlich nicht.«
    »Lächerlich. Eine polternde, rotgesichtige Schlampe, die von einem Bett ins andere hüpfte und euch nur peinlich war.« Was leider alles zutraf, deshalb widersprach ich nicht. Aber wie bei fast allen Frauen auf meiner Besuchstour wurde mir klar, wie viel besser wir uns vor vierzig Jahren verstanden hätten, wenn wir nur tiefer in das Wesen des anderen hätten blicken können. Candida schüttelte die alten Erinnerungen mit einem Achselzucken ab und wandte sich glücklicheren Zeiten zu. »Dann tauchte eines Tages Harry auf und rettete mich. Rettete uns. Ich weiß bis heute nicht, was er an mir gefunden hat, aber wir hatten miteinander nur glückliche Stunden.«
    »Er hat dich geliebt«, sagte ich. Eigenartigerweise ohne jeden Anflug von Ironie. Auch ich sah allmählich, was er an ihr geliebt hatte – und war nicht wenig überrascht.
    Sie nickte, ihre Augen begannen zu schimmern. »Ich glaube, das hat er wirklich. Weiß Gott, warum. Er hatte uns in sein Herz geschlossen, uns alle beide. Er hat Archie adoptiert, weißt du, ganz offiziell, und dann hatten wir noch zwei Kinder, und als er …« Ich sah, dass sich ihre Augen füllten, obwohl sie sie halb schloss, und mir passierte dasselbe. »Als er starb, stellte sich heraus, dass er allen drei Kindern die gleiche Summe hinterlassen hatte. Er hat das Geld einfach durch drei geteilt. Hat keinen Unterschied gemacht. Und das hat Archie so gutgetan. Unendlich gut. Wusstest du, dass ihre Handys funktionierten, als sie in diesem Turm eingeschlossen waren?«
    Ich nickte. »Ich habe davon gehört.«
    »Das Beeindruckende, Wunderbare war, dass sie keine Hilferufe losgelassen haben, die meisten jedenfalls. Sie haben die Menschen
angerufen, die ihnen am nächsten waren, ihre Frauen, ihre Männer, ihre Kinder, und haben ihnen gesagt, wie sehr sie sie lieben. Harry hat das getan. Natürlich hatte ich mein Handy nicht an, typisch. Und als ich versuchte, ihn zurückzurufen, kam ich nicht durch, aber er hat mir auf die Mailbox gesprochen und gesagt, mich zu heiraten sei das Beste gewesen, was er je getan habe. Diese Nachricht habe

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