Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
Vom Netzwerk:
Selbst wenn es mich wieder einmal nach Los Angeles verschlagen sollte, würde ich sie nicht anrufen. Dennoch war sie mir durch ihre Geschichte ein Stück nähergerückt. Mir fiel der unvergessliche Satz von Lady Caroline Lamb ein: »Was immer über die Kürze des Lebens gesagt wurde, für die meisten von uns ist es sehr, sehr lang.« Terrys Leben war schon jetzt sehr lang gewesen, sehr enttäuschend, mit wenigen Glanzlichtern als Ausgleich. Dass das vor allem an ihr selbst lag, war kein Trost. Sie hatte ihre einzige Chance auf eine anständige Zukunft, eine Zukunft mit Greg, achtlos weggeworfen und nie gleichwertigen Ersatz gefunden. Und hatte wohl auch das Kind verloren, das sie aus dem Nichts her vorgezaubert hatte, um Greg an sich zu binden. An der Tür küssten wir uns zum Abschied. »Bitte erzähl niemandem von all diesen Dingen«, bat ich sie. Sie schüttelte den Kopf. Ich musste noch etwas anderes loswerden: »Und bitte sag es ihnen nie.«
    »Glaubst du denn, das würde ich tun?«
    »Ich weiß nicht. Wenn du einmal zu betrunken und zu wütend bist, könnte es dir herausrutschen.«
    Netterweise nahm sie mir das nicht übel, aber sie war sehr von sich überzeugt: »Ich war schon oft betrunken und wütend und habe noch nie etwas verraten.« Das traf mit Sicherheit zu. Alles drei.
    »Gut.« Nun wollte ich wirklich gehen. Aber ich hatte noch ein letztes Anliegen. »Sei nett zu Donnie«, sagte ich. »Es hört sich nicht so an, als wäre er ein schlechter Kerl.«
    Der Abend hatte mein Bild von Terry sentimental verklärt. Ich hätte mir mehr Scharfblick bewahren sollen. In Wirklichkeit war Terry Vitkov noch ganz die Alte, bis auf die Gefühle für ihre Tochter, die gar nicht ihre Tochter war. »Er ist ein Arschloch«, erwiderte sie nur und schloss die Tür.

Candida

13
    Blieb also nur Candida Finch.
    Ich verbrachte noch ein paar Tage in Los Angeles, genauer gesagt in Beverley Hills, im sehr komfortablen Peninsular Hotel – für Engländer eine Oase, das einzige Hotel, von dem aus man tatsächlich zum Postamt gehen oder sich etwas zu essen besorgen kann, ohne dass man sich jedes Mal vom makellos livrierten Hoteldiener ein Auto rufen lassen muss. Die Begegnung mit meinem Agenten war sehr erfreulich. Der Mann erwies sich als absolut reizend, und auch wenn ich Damians Anweisungen nicht bis ins Letzte folgte, waren wir sehr voneinander angetan, und er arrangierte für mich noch ein paar Treffen mit wichtigen Leuten. Da ich mir den unerhörten Luxus eines First-Class-Flugs gönnen durfte, fühlte ich mich bei der Rückkehr nach Hause frisch und entspannt. Wenn man nur genug schlafen kann, stellen sich Energie und ein positiver Blick aufs Leben von selbst ein.
    Ich hatte insgeheim erwartet, nach meinen vielen Anrufen ein Lebenszeichen von Candida vorzufinden, wurde aber enttäuscht. Sie hatte sich nicht gemeldet. Also sprach ich ihr eine neue Nachricht aufs Band und widmete mich meinem neuesten Roman, der von der Existenzangst der Mittelschicht in einer Küstenstadt handelte. Die Geschichte näherte sich dem, was ich nur zögernd ihren Höhepunkt nennen möchte; verständlicherweise hatte ich die Arbeit daran in letzter Zeit vernachlässigt. Als ich am Vormittag des nächsten Tages wieder einigermaßen in mein aufgewühltes maritimes Milieu eingetaucht war, klingelte das Telefon auf meinem Schreibtisch.
    »Du hast gestern Candida Finch angerufen«, sagte eine weibliche Stimme. Einen Moment verfiel ich auf die absurde Idee, Candida selbst sei am anderen Ende der Leitung.

    »Ja, ich dachte, ob wir uns vielleicht treffen können – das klingt möglicherweise merkwürdig.«
    »Sehr merkwürdig sogar. Außerdem bin ich nicht Candida, sondern Serena.« In meinen Eingeweiden schäumten tausend Tütchen Brausepulver auf.
    »Serena?« Natürlich. Es war doch ihre Stimme, Himmelherrgott! Wo war ich bloß mit meinen Gedanken gewesen? Warum rief mich Serena an? Wie war das möglich? Tausend Fragen kreisten mir im Kopf und ich presste stumm und staunend den Hörer ans Ohr.
    »Hallo?«, fragte sie etwas lauter.
    »Ja.«
    »Ich dachte schon, wir wären unterbrochen worden, weil ich nichts mehr gehört habe.«
    »Nein, ich bin immer noch dran.«
    »Gut.«
    Plötzlich überfiel mich die Sorge, ob ich in ihrer Stimme nicht einen fragenden Unterton herausgehört hatte – befürchtete sie, dass sie einen Spinner an der Strippe hatte und die Unterhaltung gefährlich werden könnte? Ich erzitterte – würde sie diese unterbewusste Warnung

Weitere Kostenlose Bücher