Eine Klasse für sich
zu ihr nicht nachließ, solange sie ihren Spaß daran hatte. So ist die Jugend nun einmal. Jetzt erinnere ich mich auch an den Moment, als das Foto entstand. Ich war wegen ihres Geflüsters noch ganz entrückt und nicht imstande, mich aus ihrem Dunstkreis zu lösen, obwohl ich wusste, dass ich den anderen Gästen weichen musste; deshalb trat ich hinter die beiden Mädchen, wo ich etwas länger verweilen konnte. Da zuckte ein Blitzlicht auf und konservierte mich für die Ewigkeit, wie eine Fliege in Bernstein. Lucy Dalton rettete mich, nahm mich am Arm und ging mit mir davon. »Wie sind deine Gastgeber?«
»Langweilig, aber sehr anständig.«
»Klingt himmlisch im Vergleich zu meinen. Bei denen gibt es anscheinend kein fließendes Wasser. Echt! Aus den Wasserhähnen kommt bloß ein dreckiges Getröpfel, das aussieht wie Pflaumensaft. Sieht Serena nicht wunderbar aus? Aber dich brauche ich da ja nicht zu fragen. Ich habe gehört, die Disco wäre fantastisch. Der Freund von einem der Mädchen hat sie entworfen, ich habe vergessen, wer. Los, gehen wir gucken.« Das alles sprudelte ohne Punkt und Komma aus ihr heraus, und ich hatte keine Chance, selbst etwas einzuwerfen.
Die Disco war tatsächlich fantastisch. Sie nahm weite Bereiche des Untergeschosses ein, die einstige Gesindestube, vielleicht auch einen Teil der zweifellos weitläufigen Weinkeller. Rings um den Eingang unter der Haupttreppe brannten künstliche Flammen, ein Schild verkündete: »Willkommen in der Hölle!« Hinter der Tür waren die Wände der abwärtsführenden Treppe mit Folie ausgeschlagen. Zahllose Flammen aus Lametta und Satin flackerten und züngelten, angeblasen von Ventilatoren und beleuchtet von einer rotierenden Lampe, sodass sie ziemlich echt wirkten. Unten setzte sich
das Höllenmotto fort, riesige Reproduktionen der düstersten Gemälde von Hieronymus Bosch illustrierten Folterqualen aller Art, über den Köpfen der Tanzenden loderten Feuer. Das Tüpfelchen auf dem i waren der DJ und die beiden Serviermädchen, die, um die Illusion nicht zu stören, ihre Gäste in scharlachroten Teufelskostümen bedienten. Nur die Musik stand nicht im Einklang mit dem Hades. Gerade lief eine beliebte Ballade der Turtles, Elenore . Der harmlose Text – I really think you’re groovy, let’s go out to a movie – passte nicht so ganz zu den Qualen der Verdammten.
Wir tanzten und plauderten und begrüßten Bekannte, bis gegen halb zwölf oder vielleicht auch Mitternacht plötzlich alle zur Treppe stürmten. Eine Sensation kündigte sich an.
Lucy und ich kämpften uns in die Eingangshalle hoch und wurden von der Menge in den großen, zum Ballsaal umfunktionierten Speisesaal geschwemmt. Alle Möbel waren hinausgeräumt, und anders als in den meisten Häusern, in die ich vorgedrungen war, machten die Bühne am Saalende und, bemerkenswerter noch, die Beleuchtung einen absolut professionellen Eindruck. Das erzeugte schon Spannung, bevor wir wussten, was kommen würde. Es hat immer etwas Befriedigendes, in einem großen Haus zu tanzen und nicht in einem Festzelt mit rutschigen Kokosmatten und transportablem Tanzboden, und Gresham Abbey war ein großes Haus in Vollendung.
Die Wände des riesigen Saals waren mit lebensgroßen Porträts früherer Greshams gepflastert, die streng auf uns herabblickten, Männer in Rüstung, Brokatgewand oder schwülstig-viktorianischem Kostüm, mit Schmachtlocken oder Perücken und weiß bestrumpften, mit Strumpfbändern gezierten Beinen. Das gewaltige, von Kneller gemalte Reiterbild des ersten Earl von Claremont, das über dem Marmorkamin hing, beherrschte laut und selbstherrlich den ganzen Raum. Der Gegensatz zwischen dem starren Pomp dieser Symbolfigur, Inbegriff höchsten Rangs und Heldentums, und den unten herumwimmelnden Teenagern ließ einen fast erschrecken.
Mit einem Mal öffnete sich die Tür, die an normalen Tagen zu einem Servierzimmer und der im Untergeschoss gelegenen Küche führte. Heute Abend jedoch sprangen mit federnden Schritten ein
paar junge Männer hervor, tänzelten auf die Bühne und begannen zu spielen und zu singen. Mit einem kollektiven Aufseufzen erkannten wir plötzlich – es war einfach unglaublich – Steve Winwood, den Leadsänger der Band mit dem Namen des Mannes, der zuletzt auf die Bühne lief, Spencer Davis. Vor uns hatten wir, echt und live, die Spencer Davis Group! Kaum war diese Tatsache in unsere Köpfe vorgedrungen, begannen sie den Song zu spielen, der vor zwei Jahren ihr großer Hit
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