Eine Klasse für sich
große Abendgarderobe, dazwischen gibt es nichts.
An jenem Abend tat ich also, was von mir erwartet wurde, und wollte schon in den Salon hinuntergehen, als ich auf einer Kommode ein gerahmtes Foto entdeckte. Serena und Candida standen nebeneinander, um die Gäste ihres Debütantinnenballs auf Gresham zu empfangen. Hinter ihnen erkannte ich die Porträts in der Eingangshalle; Lady Claremont wandte sich gerade zur Seite, als hätte ein neu ankommender Gast ihre Aufmerksamkeit beansprucht. Dann sah ich im Hintergrund einen jungen Mann, dessen Blicke an den beiden Mädchen hingen, als könne er sich von ihnen nicht losreißen. Seine Gefühle wurden augenblicklich in mir lebendig. Denn der junge Mann war ich.
Wenn überhaupt etwas auf dieser vergänglichen Welt perfekt sein konnte, dann dieser Ball, der auf Gresham Abbey für Serena Gresham und Candida Finch gegeben wurde. Er war recht spät angesetzt, nach der Sommerpause, als es schon auf Weihnachten zuging – diese Zeit wurde früher als die »Kleine Saison« bezeichnet. Wir waren reichlich übersättigt, da wir seit dem Frühjahr die Runde machten; es gab nicht viel, womit uns eine Gastgeberin noch überraschen konnte. Vielleicht hatte Lady Claremont aus diesem Grund beschlossen, uns keine Überraschungen, sondern einfach einen perfekten Ball zu präsentieren. Ich habe alle meine Einladungen lange aufgehoben, inzwischen aber verloren, deshalb kann ich nicht mehr sagen, ob der Ball Ende Oktober oder Anfang November stattfand. Jedenfalls war es ein Winterball, der letzte große Privatball, bevor die Wohltätigkeitsbälle begannen und das Debütantinnenjahr seinem Ende zuging, und das allein verlieh dem Abend etwas Romantisches.
Ich hatte mich schon einige Male auf Gresham aufgehalten und natürlich gehofft, zur Hausgesellschaft eingeladen zu werden, aber die Konkurrenz war groß, und ich wurde anderweitig untergebracht. Meine Gastgeber, ein General im Ruhestand und seine liebenswürdige Gattin, eine typische Offiziersfrau, stellten sich als ziemlich – wenn auch nicht unerträglich – geistlos heraus. Sie lebten, wie solche Menschen oft, in einem kleinen Gutshaus mit völlig nichtssagendem Interieur; es gab nichts ausgesprochen Hässliches oder Geschmackloses, aber auch nichts Bezauberndes oder Hübsches, abgesehen von dem einen oder anderen Gemälde oder Möbelstück, die ihnen ohne eigenes Verdienst als Erbe zugefallen waren. Mit zwei der anderen Gäste war ich befreundet, mit Minna Bunting und mit Sam Hoare, der die Schlacht der Mainwarings vor Minnas Ball miterlebt hatte; auch die anderen waren mir vertraut, da wir alle dieses Ritual schon seit sechs Monaten durchexerzierten. Wie üblich kamen auch einige Paare aus der Umgebung zum Dinner, zu dem Lachsmousse ( comme toujours ), Hähnchenragout und Crème brûlée serviert wurden, eine untadelige, vielleicht mehr auf zahnlose Invaliden als auf heißhungrige Teenager zugeschnittene Menüfolge. Wir ließen es uns dennoch schmecken und führten recht muntere Tischgespräche. An alledem gab es nichts auszusetzen, aber auch kaum etwas von Interesse, und so lenkte uns nichts vom Hauptzweck des Abends ab, dem Ballbesuch. Manchmal waren die Dinner und Hausgesellschaften so unterhaltsam, dass man sich verplauderte und zu spät zum Ball erschien, um noch viel mitzubekommen. Diese Gefahr bestand diesmal nicht. Wir saßen die von der Höflichkeit gebotene Zeitspanne ab, tranken unseren Kaffee aus und stiegen in unsere Autos.
In der Eingangshalle von Gresham Abbey lag schon eine allgemeine Aufregung in der Luft, deren Grund ich noch nicht kannte. Serena, Candida und die Claremonts standen da und empfingen ihre Gäste. »Ich freue mich ja so, dass du kommen konntest«, sagte Serena und küsste mich, was mir wie jedes Mal fast den Atem nahm. »Ich wünschte, du wärst bei unserer Hausgesellschaft dabei«, flüsterte sie mir zu, eher ein Kompliment als ernst gemeint. Inzwischen war ich fast Stammgast auf Gresham, da ich zweimal für andere Bälle
im Norden bei ihnen einquartiert worden war und auf einer Schottlandreise bei ihnen Zwischenstation gemacht hatte. Ich war schon gefährlich nahe daran, einer odiösen Selbstgefälligkeit zu verfallen und heraushängen zu lassen, in welch vornehmem Haus ich willkommen war. Damals ahnte ich noch nicht, was ich heute weiß: Serena empfing mich stets so herzlich, weil sie meine Verliebtheit ungemein genoss. Sie war an mir zwar nicht interessiert, wollte aber, dass ich in meiner Liebe
Weitere Kostenlose Bücher