Eine Klasse für sich
Serena. Sie war allein und für mich so schön, wie es eine Frau nur sein kann, zitterte aber vor Kälte. »Was hast du denn da draußen getrieben? «, fragte ich. »Du bist ja halb erfroren.«
Einen Moment lang musste sie sich sammeln, bis sie begriff, wer ich war und was ich sagte, aber als sie sich wieder gefasst hatte, nickte sie. »Ganz schön eisig«, bestätigte sie.
»Was hast du denn gemacht?«
Sie zuckte leicht mit den Achseln. »Nur so nachgedacht.«
»Du willst jetzt wahrscheinlich nicht mehr tanzen«, sagte ich munter, aber ohne große Hoffnungen.
Natürlich höre ich mich nervtötend pessimistisch und negativ an, wenn ich von meiner Beziehung zu Serena Gresham berichte, aber man muss bedenken, dass ich damals jung und hässlich war. Was das für einen Menschen bedeutet, kann nur verstehen, wer es selbst erlebt hat. Es ist gut und schön, von »Äußerlichkeiten« und »wahren inneren Werten« zu sprechen und dem üblichen Quatsch, den unansehnliche Teenager von ihren Müttern aufgetischt bekommen – wie wunderbar es sei, anders zu sein, und so weiter. Die Wahrheit ist schlicht und ergreifend, dass einem die einzig gültige Währung nicht zur Verfügung steht. Vielleicht hat man unzählige Freunde, aber wenn es um die Liebe geht, hat man nichts zu bieten. Man ist nicht vorzeigbar, ist die letzte Wahl, wenn sonst alle Tänzer vergeben sind. Wird man geküsst, verwandelt man sich nicht in einen Prinzen. Man bleibt ein Frosch, und am nächsten Morgen wird der Ausrutscher in der Regel bedauert. Bestenfalls erwirbt man sich den Ruf der Diskretion. Wer amüsant ist und ansonsten den Mund hält, bekommt ein paar Krümel ab, aber wehe dem hässlichen Freier, der übermütig
wird und zu prahlen beginnt. Natürlich ändert sich die Lage. Im Lauf der Jahre blicken wenigstens manche Menschen hinter die Fassade auf die Qualitäten, die man besitzt, und in den Dreißigern und Vierzigern kommen noch andere Faktoren ins Spiel. Erfolg macht sexy, Geld ebenso, und das nicht unbedingt, weil Frauen käuflich wären. Sondern weil sich der Stallgeruch verändert. Erfolg verwandelt den Menschen. Aber man wird nie die Klassefrauen vergessen, die einen geliebt haben, als man noch ungeliebt war. Doch die traten erst in mein Leben, als ich Mitte zwanzig war. Als hässlicher, verliebter Achtzehnjähriger machte ich mir keine Illusionen: Meine Liebe war einseitig.
»Doch. Tanzen wir«, sagte Serena, und ich erinnere mich immer noch an das augenblickliche Aufflattern von Schmetterlingen und Übelkeit in meinem Bauch. Wir gingen in den Ballsaal hinüber.
Spencer Davis war längst fort. Vermutlich rasten die Rockmusiker schon über die Autobahn; sie hatten ihre Gage mehr als verdient und uns einen legendären Abend verschafft. Gesegnet seien sie dafür; ich hoffe, sie wissen, welche Glücksgefühle sie uns geschenkt haben. Es war nun drei Uhr, und der Ball lag in den letzten Zügen. Der Discjockey legte noch auf, aber seiner Stimme war anzuhören, dass es dem Ende zuging. Er spielte nun eine langsame Nummer, die mir recht gut gefiel, A Single Girl , vor ein, zwei Jahren ein Hit, und wir gingen auf Tuchfühlung. Tanzen ist schon etwas Seltsames. Man hat das Recht, einer Frau den Arm um die Taille zu schlingen, sie an sich zu drücken, durch das eigene Hemd und die dünne Seide ihres Abendkleids ihre Brüste zu spüren; ihr Haar streift einem die Wange, ihr Duft erregt einen, und doch hat all das nichts Intimes und sprengt keineswegs den Rahmen von Höflichkeit und Etikette. Ich brauche wohl nicht zu sagen, dass ich mich fühlte wie im Paradies, als wir uns im Stehtanz wiegten; wir unterhielten uns über die Band und die Party, und ich gratulierte ihr zu dem Riesenerfolg des Abends. Serena freute sich natürlich darüber, schien aber dennoch nachdenklich und nicht so beschwingt wie erwartet. Wie sie von Rechts wegen hätte sein sollen. »Hast du Damian gesehen?«, fragte sie. »Er hat dich gesucht.«
»Warum?«
»Ich glaube, er möchte dich bitten, ihn morgen mitzunehmen.«
»Ich fahre aber ziemlich früh.«
»Das weiß er. Auch er muss früh los.« Das Wunder, mit ihr zu tanzen, benebelte mich dermaßen, dass ich nicht weiter stutzig wurde. Allerdings war mein erster Gedanke, dass ich persönlich, hätte ich zu den glücklichen Hausgästen gehört, jeden Vorwand genutzt hätte, um meinen Aufenthalt auf Gresham so lange wie möglich auszudehnen.
»Hat dir der Ball denn Spaß gemacht?«, fragte ich.
Sie dachte kurz nach.
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