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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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»Das sind solche Marksteine im Leben«, sagte sie, eine merkwürdige Antwort, auch wenn sie zutraf. Diese Ereignisse waren für meine Generation tatsächlich noch Initiationsriten, deren Gültigkeit wir kaum infrage stellten. In unserer militant informellen Zeit mag das seltsam erscheinen, aber damals sahen wir in Ritualen noch einen Sinn. Die Mädchen debütierten mit achtzehn, die Männer feierten mit einundzwanzig ihre Volljährigkeit, und das noch lange nachdem die Regierung die gesetzliche Volljährigkeit auf achtzehn Jahre gesenkt hatte, was von der Oberschicht konsequent ignoriert wurde. Diese Anlässe markierten den Übergang zum Erwachsenenleben. Hatte man sie hinter sich gebracht, war man ein vollwertiges Clubmitglied, das regelmäßig an weiteren Zeremonien teilnahm: Hochzeiten und Taufen, Partys für die Kinder, weiteren Hochzeiten und schließlich Beerdigungen. Das waren die großen Momente, die Marksteine auf unserem Weg durchs Leben. Damit ist es heute vorbei. Anscheinend gibt es keine obligatorischen Anlässe mehr. Aristokratie und Bürgertum unterscheiden sich allein darin, dass in der Oberschicht immer noch geheiratet wird, bevor man Kinder in die Welt setzt. Wenn nicht, ist das die große Ausnahme. Davon abgesehen sind viele der Traditionen, durch die sich die Oberschicht einst als geschlossener Zirkel abgrenzte, im Winde verweht.
    Der Song endete, und Serena wurde von aufbrechenden Gästen in Anspruch genommen. Ich konnte mich immer noch nicht losreißen und schlenderte noch einmal durchs Haus. Ich verließ die Tanzenden
und durchquerte das Vorzimmer, wo nun ein Mädchen in Rosa auf einem hübschen Sofa schlief, dann spähte ich durch die halb offene Tür in den Gobelinsalon. Erst hielt ich ihn für leer, denn er lag im Dämmerlicht weniger Lampen. Mein Blick fiel auf die Standuhr von Kaiserin Katharina, deren Glas das Licht einer der Lampen zurückwarf ; ansonsten wirkte der Raum, als hätte er für den Tag ausgedient. Dann sah ich, dass er doch nicht leer war: Einer der Sessel unter einem Gobelin, der bis zum Deckensims reichte, war besetzt, und zwar von niemand anderem als Damian Baxter. »Hallo«, sprach ich ihn an. »Serena hat mir gesagt, du wolltest mich etwas fragen.«
    Er blickte auf. »Ja. Kannst du mich vielleicht morgen zu Hause absetzen, falls du in die Stadt zurückfährst? Ich weiß, dass du früh aufbrechen willst.«
    Das weckte mein Interesse, weil Damian noch nie von seinem Zuhause gesprochen hatte. »Wo ist denn das?«, fragte ich.
    »In Northampton. Das müsste direkt auf dem Weg liegen. Außer, du fährst nicht nach London.«
    »Natürlich nehme ich dich mit. Ich hole dich um neun ab.«
    Damit schien alles geregelt. Er stand auf. »Ich glaube, ich gehe jetzt ins Bett«, sagte er merkwürdig schnörkellos. Ich hatte ihn als unendlich berechnend einschätzen gelernt, aber heute Abend war er das nicht.
    »Was hältst du von dem Ball?«, fragte ich.
    »Erstaunlich.«
    »Und hast du dich gut amüsiert?«
    »So lala.«
    Wie versprochen kehrte ich am nächsten Morgen gegen neun nach Gresham zurück. Die Tür stand offen, und so ging ich einfach hinein. Wie erwartet schliefen die Hausgäste noch, aber unten wurde fieberhaft gearbeitet. In einem großen Haus herrscht am Tag nach einer Gesellschaft immer eine ganz besondere Atmosphäre. Diener liefen herum, sammelten Gläser und anderes ein und trugen die Möbel an ihren Platz zurück. Am Ende des Speisesaals wurde der Tisch wieder zusammengebaut und der riesige Teppich entrollt. Als ich nach dem Frühstück der Hausgäste fragte, wurde ich zum kleinen Speisezimmer
dahinter durchgenickt, ein schlichter, gar nicht so kleiner Raum, belebt durch einige Gemälde von Rennpferden mit Jockeys in den Farben der Greshams. Lady Claremont hatte ihre übliche Regel gebrochen und einen dritten Tisch in den Raum stellen lassen, in dem es nun etwas beengt war, doch so konnte für vierundzwanzig Gäste gedeckt werden. Damian saß alleine da und schob sein letztes Stück Toast in den Mund. Als ich hereinkam, stand er auf. »Mein Koffer steht schon in der Eingangshalle.«
    »Willst du dich nicht verabschieden?«
    »Die schlafen alle noch, und ich habe mich schon gestern verabschiedet. « Umstandslos verstauten wir sein Gepäck und fuhren los. Erst gab er außer ein paar Richtungsanweisungen nicht viel von sich. Doch als wir auf der Autobahn Richtung Süden waren, fing er an zu reden. »Nie wieder«, sagte er.
    »Keiner von uns wird noch oft so etwas

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