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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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gewesen war, Keep on Running . Was wir dabei empfanden, ist schwer zu erklären. Heute sind wir abgestumpft, sehen überall Filmstars, Sänger und sonstige Berühmtheiten, und wenn man die Zeitschriften durchblättert, gewinnt man fast den Eindruck, es gebe mehr berühmte Menschen als Normalbürger. Aber 1968 traf dies noch nicht zu, und für uns war es wie ein Traum, im selben Raum mit einer echten Liveband zu sein, die ihren eigenen Hit spielte, einen Hit, den die meisten vor zwei Jahren gekauft hatten und immer noch anhörten. Es war absolut erstaunlich, unfassbar, unbegreiflich und brachte sogar Lucy zum Schweigen, wenn auch nicht für lange. »Unglaublich, was?«, fragte sie. Ich konnte nur nicken. Wir waren damals ja so beeindruckbar.
    In diesem Moment erblickte ich Damian. Er stand in einer Fensternische, halb im Schatten, und registrierte das welterschütternde Ereignis ohne jedes Zeichen von Aufregung oder Vergnügen. Er stand einfach da, hörte zu, sah zu, aber ohne innere Anteilnahme. Dann fesselte mich wieder die Band, und offen gestanden vergaß ich Damian in den nächsten Stunden völlig, aber in mir ist immer noch dieses Bild verankert, der Melancholiker am Rand des Karnevals. Ich stürzte mich wieder ins Treiben, tanzte, redete und trank, und gegen halb drei machte ich mich auf die Suche nach dem Frühstück. Im Gewächshaus wurde ich fündig.
    Die einstige Orangerie, ein Riesending aus Glas und Gusseisen, war um 1880 herum für eine der Countesses erbaut worden. Für den Ballabend hatte man die Pflanzen hinausgeräumt und runde, mit Blütenpyramiden dekorierte Tischchen und Stühle aufgestellt. An einem Ende stand ein langes Büfett, mit den exotischen, an der Steinwand hochrankenden Kletterpflanzen als lebender Tapete. Richtig
extravagant aber war zum einen der leuchtend rote Teppich, der im ganzen Raum verlegt und in der Mitte perfekt um den Steinbrunnen herum zugeschnitten war, zum anderen die eigens geschaffene Verbindung zum Haus. Normalerweise gelangte man von einem der Salons über die Terrasse hierher, ein kurzer Weg, auf dem man nur für diese eine Nacht einen Durchgang aus Holz gezimmert hatte. Innen war er ein perfektes Faksimile des Salons, einschließlich Sockelleiste, Täfelung und Deckensims, sogar die Fenstergriffe waren exakte Repliken der Originale. Vielleicht lassen sich alle Dinge so exquisit ausführen, dass sie das Niveau eines Kunstwerks erlangen; dieser kleine Durchgang gehörte für mich dazu. Wie alles andere an jenem Abend war er einfach eine Klasse für sich.
    Ich ging zum Büfett und bediente mich an den Köstlichkeiten, dann schlenderte ich herum und plauderte mit verschiedenen Grüppchen. Joanna war da, mit der ich mich eine Weile unterhielt, ebenso Dagmar, und schließlich landete ich an Candidas Tisch, an sich schon etwas Ungewöhnliches, denn normalerweise lachte sie zu so später Stunde wie jemand mit Keuchhusten im Endstadium, und dann machte ich stets einen weiten Bogen um sie. Aber an diesem Abend saß sie eigenartig piano da, und das auf ihrem eigenen Ball, also setzte ich mich zu ihr. Lucy war mir irgendwie abhanden gekommen, und anders als sonst hatte ich mir für den Abend keine Partnerin gesichert. Mein Vergnügen litt nicht darunter. In Serenas Haus, auf Serenas Ball erschien es mir vielleicht unpassend und verlogen, mich auf eine andere zu konzentrieren, mit ihr zu flirten und so tun zu müssen, als widme ich ihr meine Aufmerksamkeit. »Hast du deinen Freund Damian gesehen?«, fragte Candida. Immer noch wirkte sie wie neben sich, sehr nachdenklich, was man ihr sonst um halb drei Uhr früh gewiss nicht nachsagen konnte.
    Ich musste einen Moment überlegen, die Frage kam aus heiterem Himmel. »Schon länger nicht mehr. Ich habe ihn vor ein paar Stunden im Speisesaal gesehen, als die Band spielte. Warum?«
    »Nur so.« Sie wandte sich einem der Tremaynes zu, der mit ein paar Freunden und einem Teller Würstchen an den Tisch gekommen war.

    Ich hatte fertig gegessen, und da Carla Wakefield schon auf meinen Stuhl wartete, verließ ich die Orangerie und schlenderte zurück in das sich langsam leerende Haus. Ohne besonderen Grund trat ich in das kleine ovale Vorzimmer vor dem Speisesaal, aus dem immer noch Musik dröhnte. Eine kleine Bilderserie zu den fünf Sinnen nahm mich gefangen und ich beugte mich vor, um die Einzelheiten genauer zu betrachten; da wehte mich ein eisiger Luftzug an. Ich sah, dass eine Terrassentür offen stand, und von draußen herein kam

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