Eine Klasse für sich
ich mir aufgehoben. Ich habe sie hier. Er dankt mir, dass ich ihn geheiratet habe. Kannst du dir das vorstellen? Mitten in der ganzen Panik, dem Horror, dankt er mir dafür, dass ich ihn geheiratet habe! Du siehst, von einer höheren Warte aus bin ich überhaupt keine traurige Figur. Sondern ein Glückskind.«
Ich blickte in ihr raues, gerötetes Gesicht und ihre feuchten Augen und wusste, dass sie vollkommen recht hatte. »Ja, das bist du«, sagte ich. Bei meiner Ankunft hatte ich mich darauf eingestellt, dass ich sie würde bedauern müssen, aber die letzten Jahrzehnte waren für sie unendlich befriedigender gewesen als für Terry, Lucy oder Dagmar, von Joanna ganz zu schweigen. Candida Stanforth, geborene Finch, war von den fünfen auf Damians Liste die Glücklichste, da wird mir jeder zustimmen. In allen wichtigen Disziplinen war sie als Schlusslicht gestartet und hatte sich an die Spitze vorgeschoben. »Und deine Berufswünsche? Du wolltest doch gern in einem Verlag arbeiten.«
Sie nickte. »Das habe ich auch getan. In einem richtigen Verlag. Nicht bei diesen Gefälligkeitsverlagen, die ich für meine einzige Startmöglichkeit gehalten hatte. Harry hat mich angespornt. Er hat einen Kontakt genutzt und mir die Chance verschafft, für einen kleinen, auf Autorinnen spezialisierten Verlag Manuskripte zu lesen. Ich habe mich durchgebissen und durfte bleiben. Schließlich habe ich ziemlich viele Bücher lektoriert.«
»Jetzt nicht mehr?«
»Nicht im Moment. Ich hatte das Gefühl, ich bräuchte eine Auszeit, als …« Ich nickte, wollte ihre Gedanken auf keinen Fall wieder auf jenen schrecklichen Tag zurücklenken. »Aber ich überlege schon, ob ich nicht wieder einsteige. Ich habe meine Arbeit ziemlich gut gemacht.« Allein dieser schlichte Satz zeigte mir, wie viel sie
Harry Stanforth verdankte und warum es ihr immer noch so wichtig war, dass auch andere ihr Glück würdigten. Diese Candida besaß ein Selbstwertgefühl, von dem in ihrer hässlichen, zornigen, unglücklichen Jugend, in die unsere Bekanntschaft fiel, kaum eine Spur zu finden war. Damals hingen ihr die Kindheitstraumen noch zu sehr nach. »Tatsache ist, dass mir dreiundzwanzig Jahre mit einem tollen, anständigen, wunderbaren und liebevollen Mann vergönnt waren. « Dieser schlichte, bewegende Tribut machte es mir leicht, Harry spontan ins Herz zu schließen. Candida beugte sich zu mir vor und dämpfte die Stimme zu einem Flüstern. »Ich stecke viel lieber in meiner eigenen Haut als in Serenas.« Wir lachten, und damit war das Thema abgeschlossen. Nicht lange danach gingen wir hinauf, uns umziehen.
Ich war in einem cremeweiß getäfelten Eckzimmer untergebracht und konnte durch die großen Fenster an zwei Wänden weit über den Park mit seinen vielen Bäumen blicken. Das Bett hatte einen Himmel aus schönem, wenn auch ausgeblichenem Chintz, an den Wänden hingen Vogeldrucke von Audubon. Der Raum war nicht originell, aber doch ganz hübsch; das Knallpink der Bilderrahmen allerdings, ganz im Geschmack der Siebzigerjahre, und der alte Stoff erweckten den Eindruck, hier sei seit mindestens dreißig Jahren kein Geld mehr ausgegeben worden. Das Zimmer besaß ein eigenes, in denselben Farben eingerichtetes Bad; der Heißwasserhahn gurgelte eifrig, aber das Wasser, das er nach einer ganzen Weile ausspuckte, war kaum lauwarm. Ich wusch mich mit dem Schwamm, so gut es ging, und zog frische Sachen aus dem Koffer.
Die englische Oberschicht gibt sich auf dem Land gern ungezwungen. »Niemand kommt«, heißt es da, »wir sind ganz unter uns.« Was selten stimmt. »Du brauchst überhaupt nichts zu tun« – natürlich erwartet einen dann doch ein Programm. Vor allem die Aufforderung »Zieh dich bloß nicht um« ist keineswegs wörtlich zu nehmen. Sie bedeutet nur, dass man sich abends nicht in den Smoking zu werfen braucht, nicht aber, dass man in seiner Nachmittagskluft bleiben dürfte. Es entbehrt nicht der Komik, wenn vor allem die Männer für ein »informelles Dinner« lediglich das, was sie beim
Tee getragen haben, gegen dasselbe in Grün vertauschen. Auf keinen Fall darf man, wenn man im Esszimmer erscheint, genauso aussehen wie zuvor. Das Einzige, was ein Gentleman an einem Landwochenende garantiert nicht braucht, ist ein dunkler Anzug, wie man ihn in der Stadt trägt, außer für Anlässe wie karitative Veranstaltungen oder Begräbnisse. Die abendliche Kleiderordnung beschränkt sich immer mehr auf zwei Alternativen: entweder Schäbig-Bequemes oder
Weitere Kostenlose Bücher