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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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Rolle hoffnungslos ungeeignet. Anne Waddilove, selbst eine attraktive Erscheinung und von souveränem Auftreten, hatte nicht damit gerechnet, dass die Natur ihr einen solchen Streich spielen und ihr eine Tochter bescheren würde, die rund war wie eine Tonne, absolut reizlos und linkisch obendrein. Dass Georgina, von Natur aus nicht gerade gesellig, mit ihrer schüchternen Nervosität stets den übrigens falschen Eindruck erweckte, sie sei dumm, machte es auch nicht besser. Und da sie bei zwei Brüdern auch keine Aussicht auf ein substanzielles Erbe hatte, schien Mrs. Waddiloves
Traumhochzeit schon nach Georginas erster Woche als Debütantin gelinde gesagt höchst unwahrscheinlich.
    Ich allerdings fand Georgina Waddilove bei näherer Bekanntschaft sehr sympathisch, und obwohl ich nie ein romantisches Interesse an ihr hatte, freute ich mich immer, wenn ich beim Dinner neben ihr saß. Sie kannte sich mit Filmen aus, und damit hatten wir ein gemeinsames Interesse und immer reichlich Gesprächsstoff. Doch ließ sich nicht übersehen, dass ihr in der Arena, in die ihre Mutter sie schubste, bei den rauen Wettbewerbsbedingungen kein Erfolg beschieden wäre. Es hatte fast etwas Groteskes, wie die plumpe Gestalt traurig und einsam durch einen Ballsaal nach dem anderen irrte, angetan mit mädchenhaften Spitzenkleidern nach der damaligen Mode, Blumen im Haar – unwillkürlich drängte sich einem das Bild eines sprechenden, für einen Werbespot ausstaffierten Gorillas auf. Falls Georgina in unserer Clique überhaupt Gnade fand, dann als komische Figur, was ich heute, da ich älter bin und gegenüber dem Leiden anderer nicht mehr so dickfellig, sehr bedaure. Sie muss diese Zeit als äußerst schmerzhaft empfunden haben, was sie gut verbarg und darum wohl umso heftiger litt.
    Hatte Damian das alles instinktiv erkannt, als er direkt auf sie zuhielt, wo doch in Peters Salon genügend glanzvolle Schönheiten von Rang und Namen herumstanden, lachend, plaudernd und an ihren Gläsern nippend? Sondierte Damian die Menge und machte das hässlichste, unbeholfenste Mädchen aus wie der Fuchs den verletzten Vogel? Seine Taktik hatte jedenfalls Erfolg, und ein paar Tage später kam er bei mir vorbei und präsentierte mir seine erste Einladung, eine dicke weiße Karte mit stolzer Prägeschrift. Mrs. Norman Waddilove gab sich die Ehre, ihn am siebten Juni zu einer Cocktailparty »für Georgina« einzuladen. Treffpunkt bei den Autoscootern im Vergnügungspark von Battersea.
    Heute hat der Battersea-Park nichts mehr mit dem Ort zu tun, an dem sich vor einem halben Jahrhundert so viele Szenen meiner Kindheit abgespielt hatten. Zu Zeiten Königin Victorias war der Park als Erholungsgelände für das ansässige Bürgertum errichtet worden, mit Felsskulpturen, Brunnen, Spazierwegen und Seen mit Schwänen. In
den Fünfzigerjahren waren diese Anlagen fröhlich verwahrlost, beglückten aber als Londons einziger ganzjährig geöffneter Vergnügungspark eine ganze Kindergeneration. Der 1951 errichtete Rummelplatz war bis weit in die Sechzigerjahre sehr beliebt, bis seine Attraktionen neben neueren Unterhaltungsformen verblassten. 1972 beschleunigte ein tragisches Achterbahnunglück das Unaufhaltsame, zwei Jahre später war alles vorbei: Der liebe alte Rummel war grau, schäbig und nachgerade gefährlich geworden und wurde restlos beseitigt. Verschwand wie die hängenden Gärten von Ninive.
    Heute sind die Teiche, Wasserfälle und Grünanlagen restauriert, und der Park ist viel schöner als zu den Zeiten, als ich die Hand einer Tante oder Kinderfrau umklammerte und um eine weitere Karussellfahrt vor dem Heimweg bettelte. Trotzdem finde ich ihn nicht mehr so reizvoll wie damals. Auch bin ich mit diesen verklärenden Erinnerungen nicht allein, und schon 1968 umwehte den Rummel ein Hauch von Nostalgie. Wir, die wir hier als Kinder Unmengen Zuckerwatte in uns hineingestopft hatten, bis uns schlecht wurde, waren jetzt um die zwanzig, und so hatte Mrs. Waddilove mit dem Schauplatz eine kluge Wahl getroffen. Georgina war ja nicht sonderlich beliebt; in einem der Hotels an der Park Lane oder im Kaffeesalon des väterlichen Clubs wäre ihr womöglich die Schmach einer spärlich besuchten Party widerfahren, denn vor solchen Orten hätte sich wahrscheinlich die Hälfte der geladenen Gäste gedrückt. Damals entrüstete sich die Elterngeneration über die Laxheit der Jugend, die sich ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen gern entzog, um sich in verlockendere

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