Eine Klasse für sich
willst.«
»Ich bin nicht sicher, ob mein Vater dir zustimmen würde.«
»Nein, im Ernst. Ich wünschte, ich wüsste, was ich will. Ich dachte erst, ich könnte ein bisschen reisen, aber – keine Ahnung.« Sie reckte sich und gähnte. »Das ist alles so mühsam.«
»Kommt darauf an, was du vom Leben willst.«
»Das ist es ja. Ich bin mir nicht sicher. Jedenfalls keinen langweiligen Ehemann, der in sein Citybüro fährt, während ich Dinnerpartys organisiere und am Freitagmorgen aufs Land fahre, um das Haus fürs Wochenende vorzubereiten.« Wie viele, die mit solchen Sprüchen um sich werfen, redete sie, als würde jeder vernünftig denkende Mensch ihre Verachtung des geschilderten Lebens teilen. In Wirklichkeit ist es für Frauen wie Lucy schwer, ein ganz anderes Leben zu führen. Vielleicht gelingt ihnen eine Hippieversion mit Kräuterbündeln in der Küche, ungemachten Betten und Künstlerfreunden, die am Wochenende unangemeldet hereinschneien. Aber der Unterschied zwischen einem solchen Leben und dem ihrer traditionsbewussteren Schwestern, die ihre Gäste zur verabredeten Zeit vom Bahnhof abholen, zum Dinner auf Abendgarderobe und sonntags auf einem Kirchgang bestehen, ist letztlich nur minimal. Abgesehen von allem anderen sind die Gäste beider Arten von Wochenendgesellschaften fast immer eng miteinander verwandt. Lucy fuhr fort: »Ich möchte einfach etwas anderes, und das auf Dauer. Ich halt’s wohl mit dem Großen Vorsitzenden Mao: Am liebsten würde ich in einem Zustand permanenter Revolution leben.«
»Für mich wäre das nichts.« Dagmar war zu uns gekommen, setzte sich auf ein Polster mit Paisleymuster und legte eine Decke über die Knie, bevor sie zu essen anfing. In der Nachtluft kündigte sich schon Kühle an. »Ich finde das Schicksal, das Lucy um jeden Preis vermeiden will, gar nicht so schrecklich. Es würde mir nichts ausmachen, am Freitag aufs Land zu fahren, um das Haus durchzulüften. Aber darüber hinaus möchte ich etwas in der Welt bewirken. Etwas Nützliches. Ich will nicht nur Ehefrau sein, sondern eine
eigenständige Persönlichkeit.« Hieran lässt sich ablesen, dass die Theorien der Sechzigerjahre inzwischen allgemein Fuß gefasst und auch vor der Balkanprinzessin nicht haltgemacht hatten. Sie war von der klassischen Zeitkrankheit infiziert, stets hehre Ziele vor sich hertragen zu müssen. Eine anstrengende Lebensphilosophie — man stelle sich vor, jeder Soap-Star, jeder Nachrichtensprecher müsste ständig beweisen, dass ihm nur das Wohl der anderen am Herzen liegt! Aber an jenem portugiesischen Abend fand ich das nicht weiter problematisch.
»Was?«, fragte ich mit gespieltem Erstaunen. »Eine Prinzessin aus dem Hause Lüdinghausen-Anhalt-Zerbst in Lohn und Brot?«
Sie seufzte. »Das ist es ja. Meine Mutter will nicht, dass ich arbeite, aber ich engagiere mich jetzt für ein paar Wohltätigkeitsorganisationen – dagegen kann nicht einmal sie etwas einwenden – und schaffe mir damit hoffentlich eine Startbasis. Und wenn der Richtige kommt, womit ich einfach mal rechne, wird er sicher nichts gegen meine Eigenständigkeit haben, weil ich ihn sonst nicht heirate. Ich will kein stummes Frauchen sein.« Sie war eine ziemlich stumme Debütantin gewesen, deshalb fand ich ihren Vorsatz rührend. »Ich möchte … nun, ich sag’s noch einmal: Ich möchte mich nützlich fühlen.« Und während sie diese vom Zeitgeist geprägten Lebensziele skizzierte, bemerkte ich erstaunt, dass ihr Blick Damian folgte. Es war ihm gelungen, Candida bei unseren Gastgebern John und Alicky abzuladen, wo ihre guten Umgangsformen sie festnagelten, während er sich noch einmal vom Büfett unter den Bäumen bediente. Mit beladenem Teller drehte er sich um und ließ den Blick in die Runde schweifen, und in diesem Moment hoben Dagmar und Lucy gleichzeitig die Hand und winkten. Er sah uns und kam herüber, sodass wir nun zum Vierergrüppchen wurden.
»Wir sprechen über unsere Zukunft«, sagte ich. »Lucy möchte eine Wilde sein und Dagmar eine Missionarin. Und du?«
»Ich will einfach von allem das Beste«, antwortete er absolut ehrlich.
»Und das wäre?«, fragte Dagmar schüchtern.
Damian dachte kurz nach. »Also – in erster Linie Geld. Deshalb habe ich vor, jede Menge Geld zu scheffeln.«
»Sehr gut«, erklang es dreistimmig, unsere aufrichtige Meinung.
»Und dann die Traumfrau, die mich genauso liebt wie ich sie. Wir zeugen das Traumkind und leben in Luxus, und alle, die uns zu Gesicht bekommen,
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