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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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die meisten von uns tatsächlich gern täten). Nun war die Hausgesellschaft versammelt, und der Urlaub konnte beginnen. John hatte dafür gesorgt, dass wir alle ein Glas Champagner bekamen, während er den Plan für den ersten Abend erläuterte: Wir sollten ins Auto steigen und ein Stück an der Küste entlang nach Sintra fahren, zu den maurischen Ruinen, wo wir abends picknicken würden. Das kleine Abenteuer schien ein vielversprechender Auftakt.
    Sintra ist ein märchenhafter Ort oder war es damals; ich habe es seither nicht mehr gesehen. Im neunzehnten Jahrhundert stellte ein vermutlich manisch-depressiver König des Hauses Braganza ein riesiges, mit vielen Türmchen garniertes Schloss auf den Hügel, das besser zu Graf Dracula gepasst hätte als zu einem konstitutionellen Monarchen. Ein Stück dahinter ziehen sich von einem Hügel zum nächsten die ausgedehnten Ruinen einer maurischen Festung, die die Muslime im Mittelalter bei ihrem Rückzug aufgegeben haben. Als Gegenstück zum disneyhaften Prunk des königlichen Palasts steigern sie Sintras besonderen Zauber. An jenem Sommerabend ragten diese Denkmäler zweier vergessener Imperien wie eine Kinokulisse in den Sonnenuntergang.
    Inzwischen hatte ich mitbekommen, dass sich John Dalrymple seit seiner Versetzung ungemein langweilte; ungeklärt blieb, ob dies an der Bank lag oder an seiner Partnerin. Er war hellauf begeistert, dass er nun ein paar Gäste um sich hatte, die er unterhalten konnte. Er und Candida kannten sich seit langem, eine Freundschaft, die nicht auf einer Liebschaft gründete, und schon ab diesem ersten Glanzpunkt unseres Besuchs war klar, dass John keine Mühen scheute. Unterhalb der Festungsmauern war unter Bäumen ein Tisch aufgebaut, vielleicht unter Olivenbäumen, denn meine Erinnerung malt sie verkrümmt und knorrig, im staubigen Boden sich ans Leben klammernd. Lampions hingen zwischen dem spärlichen Laub, Teppiche und Polster lagen hingebreitet wie für das Fest eines arabischen Fürsten. Mit Drinks in der Hand spazierten wir am Rand der Ruinen herum, zwischen Quadern und Steinbrocken, die im Lauf der Jahrhunderte von den Mauern heruntergepoltert waren.
Die Tremaynes hatten im Vergleich zu damals gewonnen, beide standen kurz vor dem Antritt ihrer Stellen in der City, die Freunde ihres Herrn Papa aus dem Nichts hervorgezaubert hatten, und scharwenzelten aufmerksam um Dagmar herum. Lucy unterhielt sich mit Alicky und John.
    Etwas abseits schlenderte Damian Arm in Arm mit Candida dahin. Mir sank das Herz, als ich bei ihr wieder Ansätze ihres furchterregenden, gorgonenhaften Flirtstils entdeckte. Damian machte eine zweifellos untadelige Bemerkung, die sie mit brüllendem Gelächter quittierte, sodass alle erschrocken zu ihr hinüberblickten und sie mit den Augen rollen sahen – faszinierend und verführerisch, wie sie glaubte. Wie üblich war sie in diesen Dingen von allen guten Geistern verlassen. Damian suchte schon nach einem Fluchtweg und warf nach allen Seiten vielsagende Blicke. Dennoch lag über allem eine sehr friedliche Stimmung, als wären wir zur rechten Zeit am rechten Ort. Was sich bald als großer Irrtum herausstellen sollte.
    Ein Gong rief uns zum Büfett, und beladen mit Tellern, Gläsern und allem sonst noch Nötigen wanderten wir zu den Polstern hinüber. Lucy ließ sich neben mir aufs Kissen plumpsen. »Was treibst du denn so?«, fragte ich. Von den meisten Mädchen hatte ich wenig gehört, von ihr gar nichts.
    Sie hörte auf zu essen und zog eine Schnute. »Ich helfe einer Freundin in ihrer Galerie in Fulham.«
    »Was stellt sie aus?«
    »Ach, du weißt schon. Irgendwelches Zeug.« Dies klang mir nicht nach begeistertem Engagement. »Unser nächstes Projekt ist ein Pole, dessen Bilder aussehen, als hätte er eine Leinwand in eine Garage gehängt und mit Farbdosen bombardiert. Aber Corinne meint, es sei doch komplexer und habe mit seiner Wut auf den Kommunismus zu tun.« Lucy zuckte leicht mit den Achseln. Mir fiel auf, dass sie noch hippiemäßiger gekleidet war als bei unserem letzten Treffen; unter einer verschlissenen bestickten Weste trug sie eine indische Bluse und diverse Schichten von Schals, Tüchern oder Ähnlichem, die ihr so weit über die Jeans hingen, dass man nicht mehr sagen konnte, ob sie nun in Rock oder Hose ging. Wahrscheinlich
sowohl als auch. »Und wie sieht’s bei dir aus?« Ich erzählte von dem trostlosen Job, der auf mich wartete. »Ich finde, du hast Glück. Wenigstens weißt du, was du

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