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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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nicht. »Geht so.« Dann spürte sie, dass ihre Antwort nicht gerade nach jungem Liebesglück klang, und lächelte. »Ich führe jetzt ein furchtbar ernsthaftes Erwachsenenleben. Du würdest mich nicht wiedererkennen. Ich schlage mich die ganze Zeit mit Klempnern herum, lasse Sofas neu beziehen und frage Andrew, ob er die Umsatzsteuererklärung schon gemacht hat.«
    »Aber bist du glücklich?«
    Auch ohne ihrem Blick zu begegnen, wusste ich, diese Frage ging zu weit. »Selbstverständlich«, sagte sie.
    »Wo ist Andrew?«
    Sie zuckte mit den Achseln. »In der Villa. Er interessiert sich nicht für Geschichte.«
    »Aber das ist nicht Geschichte, sondern ein historischer Moment. Live.«
    »Was soll ich sagen? So etwas liegt ihm nicht.«
    Die Leute hinter uns regten sich furchtbar auf, als wir Serena, ihre Mutter und ihre Schwiegermutter in die Schlange einschleusten. Gemeinsam wankten wir die Stufen zum Eingang der Kathedrale hinauf. Im kühlen, schummrigen Inneren des großartigen Kirchenraums war das Weinen noch stärker zu hören, gespenstisch hallte es durch Seitenschiffe und Kreuzgänge. Endlich gelangten wir zum Sarg. Der Kopf des Leichnams war mit einem Tuch verhüllt, die wächsernen,
reglosen Hände auf der Brust wie zum Gebet gefaltet. »Wie die das wohl machen?«, sagte Serena. »Glaubst du, da gibt es einen Trick?«
    Ich starrte den Toten an. Er steckte wie anscheinend alle verblichenen Diktatoren in einem hässlichen leichten Anzug wie aus dem Kaufhaus. »Eins frappiert mich immer wieder«, flüsterte ich. »Sobald ein Mensch tot ist, sieht er aus, als wäre er schon tausend Jahre tot. Als hätte er nie gelebt.«
    Serena nickte. »Das allein wäre schon ein Grund, an Gott zu glauben. «
    Als wir wieder draußen waren, wurden Pläne geschmiedet. Die Claremonts, Beltons und Summersbys würden nach Hause fahren, sich umziehen und in zwei Stunden alle zu uns zum Dinner kommen. Voller Vorfreude stiegen wir in die wartenden Autos.
    Heute glaube ich, dass ich nicht ganz unschuldig an den späteren Ereignissen war, denn aus unerfindlichen Gründen erzählte ich Damian nicht, dass wir Serena getroffen hatten. Zu meiner Verteidigung möchte ich sagen, dass mir von dem Drama zwischen den beiden so gut wie nichts bekannt war. Ich wusste nur, dass sie sich einmal geküsst hatten, und glaubte allen Ernstes, mehr wäre nicht geschehen. Trotzdem verhielt ich mich merkwürdig. Ich habe Damian die Begegnung nicht bewusst verheimlicht, denn als wir zurückkamen, war nichts von ihm zu sehen. Wir erfuhren von Lucy, dass er letzte Nacht nicht gut geschlafen und sich deshalb hingelegt hatte, um beim Dinner in Form zu sein. »Niemand weckt ihn«, sagte Dagmar streng, und wir fügten uns. Natürlich hätte ich in sein Zimmer gehen, ihn wach rütteln und ihm alles mitteilen sollen, aber ich hatte ja keine Ahnung, wie brisant die Lage war, und dachte wohl auch, ich könnte ihn noch beiseitenehmen, bevor die anderen eintrafen. Etwas später erbot sich Lucy, zu ihm zu gehen und ihn zu informieren, und bevor wir etwas einwenden konnten, war sie schon verschwunden. Dagmar biss sich auf die Lippe. Ich hegte zwar einen gewissen Verdacht, warum Lucy unbedingt zu Damian ins Zimmer wollte, aber nicht, dass sie die Begegnung in der Kathedrale, das für den Abend geplante Dinner oder auch nur Serena mit keinem Wort erwähnen würde. Wie sich herausstellte.

    An diesem erstaunlichsten aller Tage wartete noch eine weitere Überraschung auf uns – das heißt, vor der großen Überraschung später. Bei unserer Rückkehr begrüßte uns John mit der Nachricht: »Eine von euren Freundinnen hat angerufen.« Natürlich dachte ich wie vermutlich auch die anderen gleich an Serena, die noch etwas an unserer Abendverabredung ändern wollte. John belehrte uns eines Besseren: »Joanna de Yong? Stimmt der Name so?«
    Candida staunte. »Joanna de Yong?«, wiederholte sie. »Von wo aus hat sie angerufen?«
    »Sie ist hier. Sie wohnt mit ihrem Mann und ihren Eltern ganz in der Nähe. Sie sind heute angekommen.« Er lächelte, als überbrächte er uns eine freudige Botschaft, doch wir reagierten nicht wie erwartet. Sondern sahen uns schweigend an.
    Der reinste Irrsinn! War Estoril das einzig mögliche Ferienziel? Wir fühlten uns wie in einem Tschechow-Stück. Ich erinnere mich lebhaft an die sonderbare Stimmung, die später im allgemeinen Entsetzen unterging. Dagmar meinte, es komme ihr vor, als wolle bei unserem bescheiden geplanten Treffen das Schicksal

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