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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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ihren schmerzhaft geschwollenen Hals, von dem wir inzwischen mehr als genug gehört hatten.
    Aber einen Vorteil hatte Alickys Anwesenheit: Sie konnte dem Chauffeur – ein weiterer Bonus der Bank – klipp und klar sagen, was er zu tun hatte. Er setzte uns am Rand der riesigen Piazza vor der Kathedrale ab, und sie schärfte ihm ein, wo genau er warten solle, und nein, sie habe keine Ahnung, wie lange es dauern würde. In den länger werdenden Nachmittagsschatten reihten wir uns in die endlose Schlange der schlurfenden, missmutigen Männer und der weinenden Frauen ein. Ich war beeindruckt, ja fasziniert von der Trauer, die hier zur Schau getragen wurde. In meinem Weltbild war Salazar das letzte der alten Scheusale, die Europa in blutige Wirren gestürzt hatten. Aber hier schluchzten alle unverhohlen über sein Ableben, Menschen aus sämtlichen Schichten der portugiesischen Bevölkerung, von Aristokraten bis zu Bauern, die vielleicht am meisten Grund hatten, sich über Salazars Herrschaft zu beklagen. Das Gewohnte aufzugeben ist wohl immer schwer.
    »Candida?« Die Stimme traf mich wie ein Keulenschlag. Ich brauchte mich nicht umzudrehen, denn ich kannte sie so gut wie meine eigene, konnte aber nicht glauben, dass ich sie in dieser alten Hauptstadt am Meer so fern der Heimat gehört hatte. »Candida, was in aller Welt machst du denn hier?« Jetzt drehten wir uns alle nach Serena um, die über den Platz auf uns zukam, in ihrem Kielwasser
eine in der Hitze ziemlich aufgelöste Lady Claremont und die gefürchtete Lady Belton. Auch in dieser Familie interessierten sich die Männer nicht für Politik. Als Serena alle unsere Gesichter sah, stieß sie einen kurzen Schrei aus. »Mein Gott! Was ist denn hier los? Das ist ja nicht zu fassen! Warum seid ihr denn alle hier?«
    Erklärungen folgten, und es stellte sich heraus, dass durch einen unglaublichen Zufall Serenas Eltern eine der anderen Villen in unserer Nähe gemietet hatten, dass sie auch Andrews Eltern eingeladen hatten, dass sie gestern angereist waren und eine Woche bleiben würden, und … war das nicht erstaunlich ?
    Ich brauche wohl kaum zu sagen, dass es keineswegs »erstaunlich« war. Allerdings kam ich erst drei, vier Sommer später dahinter, als mir bei einem Pferderennen George Tremayne über den Weg lief. Er klärte mich über die wahren Hintergründe auf: Den Anstoß zum Unternehmen Portugal hatte Serena selbst gegeben, weil sie Damian wiedersehen wollte. Ihre Motive begreife ich erst heute. John hatte Candida schon länger gebeten, ihn mit ein paar Freunden zu besuchen, so weit stimmte die Geschichte noch. Falls Candida Damian zu einer Zusage bewegen konnte, wollte Serena »zufällig« eine Villa in der Nähe mieten. Natürlich wäre Damian nicht mitgekommen, wenn Serena zu Johns Hausgesellschaft gehört hätte, und Andrew wäre nicht mitgekommen, wenn Damian dabei gewesen wäre, deshalb war diese List unumgänglich. Die Sache geriet etwas außer Kontrolle, als Serenas Eltern mitfahren wollten und sich erboten, die Kosten der Reise zu übernehmen – womöglich hatten sie Verdacht geschöpft. Andrew wollte das Angebot, das ihm so viel Geld sparte, nicht ausschlagen. Als Krönung des Ganzen erklärte Lady Belton, sie und ihr geistig umnachteter Mann würden sich ebenfalls gern anschließen, denn sie »begrüße die Gelegenheit, die Claremonts besser kennenzulernen.« Was wohl passiert wäre, wenn Damian die Einladung abgelehnt hätte? Vermutlich hätte Serena dann alles abgeblasen.
    Damals jedoch hielt ich nichtsahnend das »zufällige Treffen« für einen wirklichen Glücksfall, für ein Geschenk des Himmels: Serena Gresham – pardon , Serena Summersby — wartete mit mir zusammen
in der grellen Sonne auf einem Lissabonner Platz, um in schlecht sitzender, geliehener Trauerkleidung einem toten Tyrannen die letzte Ehre zu erweisen. Ich gestattete mir, sie mit großen Augen anzuschwärmen. »Wie geht’s dir denn?«, fragte ich.
    »Ich bin fix und fertig. Wenn ich dir einen Rat geben darf: Verreise nie zusammen mit deinen Eltern, deinen Schwiegereltern und deinem zwei Monate alten Baby.«
    »Das werde ich mir merken.« Ich musterte sie. Sie war völlig unverändert. Dass meine Märchenprinzessin nun Ehefrau und Mutter war, ging über meinen Verstand. »Wie läuft es so bei dir?«
    Sie warf einen raschen Blick zu Lady Belton hinüber, aber die alte Schachtel kanzelte genussvoll einen Touristen ab, der sich erfrecht hatte, sie anzusprechen, und bemerkte uns gar

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