Eine Klasse für sich
beneiden uns.«
»Viel willst du ja nicht«, sagte ich.
»Ich will nur, was mir zusteht.« Ich erinnere mich ganz deutlich an diesen Satz, den viele im Scherz sagen, aber sehr wenige mit wirklicher Überzeugung. Die Zeit sollte Damian in seinen Ansprüchen recht geben.
»Was macht deine Traumfrau aus?« Wieder kam die Frage von Dagmar.
Damian dachte nach. »Schönheit und Intelligenz natürlich.«
»Und Rang?« Ich staunte, dass ausgerechnet Lucy das fragte.
Er überlegte. »Rang insofern, als sie Stil, Anmut, Weltläufigkeit und Kultiviertheit mitbringen wird. Aber sie wird sich von ihrem Rang nicht einengen und unterdrücken lassen. Sie wird sich von ihren Eltern oder Vorfahren nicht vorschreiben lassen, was sie zu sagen oder zu tun hat. Sie wird frei sein und, wenn nötig, mit jedem brechen, den sie je geliebt hat, um ganz zu mir zu stehen.«
Es war Dagmar und Lucy anzusehen, dass beide um den freien Posten in Damians Gedankengebäude konkurrierten; sie wägten seine Forderungen ab. »Das sollte sie auf jeden Fall, wenn sie was taugt«, sagte Lucy, was ihr momentan einen Vorsprung verschaffte.
»Es ist schwer, sich von allem Wertvollem zu trennen«, konterte Dagmar, geriet dann aber ins Wanken. »Ich meine, wenn man glaubt, es sei wertvoll.« Damian nickte, gleichsam die Erlaubnis, dass Dagmar fortfahren solle. »Und es ist schwer, sich von Menschen loszusagen, die man liebt, Menschen, die diese Liebe vielleicht verdienen. Würde deine Traumfrau sich selber treu bleiben, wenn sie alle ihre Wurzeln kappt ?«
»Ich verlange tatsächlich viel«, sagte er grübelnd. Aus Respekt vor Dagmar überdachte er seine Antwort noch einmal, und Lucy verlor ihren Vorsprung. »Ich will meine Forderungen nicht verteidigen,
die vielleicht ganz und gar unvernünftig sind. Aber ich müsste wissen, wozu meine Traumfrau im Extremfall bereit wäre.«
Darauf erwiderte Dagmar: »Ich glaube, sie könnte sich von allem trennen, wenn sie müsste; ich weise nur daraufhin, dass es schwer für sie wäre.«
»Dass es leicht ist, habe ich nie behauptet.«
Die tiefere Bedeutung dieses Dialogs entging mir; wir wissen inzwischen ja alle, wie wenig Ahnung ich von den Ereignissen der Saison hatte. Heute ist mir bekannt, dass dieser Wortwechsel ein Vorspiel zu Dagmars letzter Nacht der Illusionen war; noch träumte sie davon, sich als Damians Traumfrau zu qualifizieren. Ich hoffe, sie hat es wenigstens genossen.
In den nächsten beiden Tagen ließen wir uns treiben, standen spät auf, gingen schwimmen, aßen an langen Tischen unter Sonnenschirmen auf der Terrasse und bummelten durchs Dorf, kurz, wir taten, was Menschen unseresgleichen am besten können: Wir ließen es uns auf Kosten anderer gut gehen. Aber dann, am Montag, dem 27. Juli, erreichte uns morgens eine sensationelle Nachricht: Antonio de Oliveira Salazar, Portugals Expremier und Gründer des Estado Novo, der mit Spanien zu den letzten faschistischen Staaten Westeuropas gehörte, war nachts im Alter von einundachtzig Jahren gestorben. »Unglaublich«, sagte ich, als die Hausgäste zum Frühstück auf der Terrasse zusammenkamen, Obst von den aufgetürmten Früchtepyramiden nahmen, Kaffee einschenkten, Toastscheiben butterten. Ich dachte, die Meldung brächte den Tisch zum Schweigen. Keineswegs.
»Wieso?«, fragte George Tremayne.
»Weil nun der letzte Diktator, der die Jahrhundertmitte geprägt hat, der am Krieg beteiligt war, der die Welt verändert hat, tot ist. Hitler, Stalin, Mussolini, Primo de Rivera …«
»Franco lebt noch«, wandte Richard Tremayne ein. »Damit ist er der Letzte in dieser Reihe.«
Womit er natürlich recht hatte. »Trotzdem ist es doch unglaublich, dass Salazar gestorben ist, während wir hier sind, ein paar Kilometer von Lissabon entfernt.« Ich gab nicht so leicht auf. »In der
Zeitung steht, dass er ein paar Tage in der Kathedrale aufgebahrt wird. Da müssen wir natürlich alle hin.«
»Wozu?«, fragte George.
»Um an seinem Leichnam vorbeizudefilieren. Das ist ein historischer Moment.«
Ich wandte mich an Damian um Unterstützung, aber er goss gerade Milch über seine Cornflakes.
Was immer das über den Kampf der Geschlechter aussagt – letztlich kam keiner der Männer mit, aber sämtliche Frauen. Natürlich hatten sie keine passende Kleidung dabei und mussten sich von den griesgrämigen Köchinnen schwarze Röcke, Schals und mantillas ausleihen, aber sie schlossen sich alle an, sogar Alicky; leider klagte sie auf dem gesamten Pilgerweg über
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