Eine Klasse für sich
will keine Pläne durchkreuzen. Daddy war sowieso nicht begeistert, als ich ihn gefragt habe. Deshalb habe ich auch dich nicht eingeladen«, fügte sie lahm hinzu. »Daddy findet, wir sind sowieso schon zu viele.« Zu viele Blindgänger, dachte ich, und zu wenig Potenzial. Auch Damian zählte nicht zu Letzterem. Für Abenteurer hatte Mrs. Waddilove nichts übrig.
»Wer kommt denn?«
»Ich wollte, du wärst dabei«, murmelte sie pflichtschuldig. »Aber wie gesagt, ist es keine große Gesellschaft.« Ich nickte verständnisvoll.
Hiermit hatte sie der Form genügt und listete ein halbes Dutzend Namen auf. »Prinzessin Dagmar. Und die Tremayne-Brüder, glaube ich, aber da könnte es Probleme geben.« Ich wette, die sind verhindert, dachte ich. »Andrew Summersby und seine Schwester. « Die Liste zeigte eindeutig die Handschrift ihrer Mutter, nicht ihre eigene. »Das wär’s in etwa.«
Ich warf einen Blick zu dem rotgesichtigen, stämmigen Viscount Summersby hinüber, der verdrossen seinem Getränk zusprach. Er hatte offenbar alle Bemühungen aufgegeben, sich mit seinen Nachbarn zu unterhalten. Zweifellos zu deren Glück. Vor ihm kurvte seine Schwester Annabella kreischend in ihrem Scooter herum, neben ihr saß bibbernd ein blasser, schmächtiger Beifahrer. Ihr enges, aus der Nachkriegsgarderobe ihrer Mutter entwendetes Cocktailkleid drohte aus allen Nähten zu platzen, wenn sie den Lenker mal hierherum, mal dort herum riss. Annabella Warren konnte genauso wenig als Schönheit gelten wie ihr Bruder, aber wenn ich hätte wählen müssen, hätte ich sie vorgezogen. Als Abendunterhaltung lockte mich keiner der beiden, aber sie hatte wenigstens Temperament. Georgina folgte meinem Blick und schien mir stumm beizupflichten. »Na, dann gutes Gelingen«, sagte ich.
Die Flitzer waren stehen geblieben, ihre Insassen wurden von den wartenden Zuschauern, die nur darauf brannten, selbst zu fahren, zum Aussteigen gezwungen. Die Mädchen, die über die Metallfläche rannten, um sich in die schmutzigen, zerbeulten Vehikel zu quetschen, trugen den zeittypischen Look, halb Dior der Fünfzigerjahre, halb Carnaby Street der Sechziger; sie nahmen die moderne Welt zur Kenntnis, ohne schon ganz vor ihr zu kapitulieren. In den folgenden vier Jahrzehnten wurden die Sechzigerjahre von den Linken für sich beschlagnahmt. Sie verbreiten über diese Zeit eine Woodstock-Version nach dem Motto »Wenn du dich an irgendwas erinnern kannst, warst du nicht dabei«, und wie die blasierten, selbstgefälligen Phrasen alle heißen. Die Werte der Pop-Revolution werden bedenkenlos als die ganze Wahrheit hochgehalten, aber das ist entweder eine bewusste Täuschung oder eine Selbsttäuschung. Wirklich ungewöhnlich für uns, die diese Zeit miterlebt haben, waren nicht ein paar kiffende
Gitarristen mit peinlichen Federhüten und Schaffellwesten. Was die Sechzigerjahre von anderen Zeiten unterschied, war das Janusköpfige: Sie wiesen in zwei Richtungen.
Ein Teil der Kultur hatte tatsächlich mit Pop, Drogen, Happenings, Marianne Faithfull und freier Liebe zu tun. Aber der andere, weit größere Teil der Gesellschaft blickte noch immer in die Fünfzigerjahre zurück, ins traditionelle England mit seinem uralten Verhaltenskodex, der alles von der Kleidung bis zur Sexualmoral streng regelte. Obwohl wir uns nicht immer an die Regeln hielten, kannten wir sie zumindest; schließlich hatte dieser Kodex noch zehn Jahre zuvor unangefochten gegolten. Ein Mädchen küsste nicht bei der ersten Verabredung, ein junger Mann erschien stets mit Krawatte, Mütter verließen das Haus nie ohne Hut und Handschuhe, Väter trugen auf dem Weg zur City ihren Bowler. Das alles gehörte genauso zu den Sechzigerjahren wie die andere Seite, die ständig in Retrospektiven wiedergekäut wird. Mit dem Unterschied, dass die alten Konventionen auf dem Rückzug waren, während die neue Kultur der Auflösung ihren Einzug hielt. Sie würde natürlich siegen, und wie immer ist es der Sieger, der die Geschichte schreibt.
Groß in Mode war damals Kunsthaar in Form von Locken und Haarteilen, die die eigene Frisur zu dramatischer Fülle aufplusterten. Sie sollten zwar echt wirken, aber nur so echt wie ein Bühnenkostüm, das man am nächsten Tag ohne Gesichtsverlust wieder ablegen kann. So konnte ein Mädchen am Montagabend mit schulterlangen Locken erscheinen und am Dienstagmittag mit einem Bubikopf. Man trug Frisuren, wie man Hüte trägt. Anders als bei den heutigen Perückenträgern war damit
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