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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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keinerlei Täuschungsabsicht verbunden. Man brachte diese Haarteile ein, zwei Tage im Voraus zum Friseur, wo sie onduliert, frisiert und sogar mit Blumen oder Perlen geschmückt wurden, bevor die raffinierte Haarpracht am Nachmittag vor der Party auf dem Kopf ihrer Besitzerin festgesteckt wurde. Mit Beginn der Ballsaison erreichte diese Mode ihren Höhepunkt, aber schon im Frühstadium, auf den ersten Cocktailpartys, schienen solche Kunstgebilde wie Symbole für die unwirkliche Welt, in der wir uns alle bewegten, da die Debütantinnen zwei-, dreimal die Woche
ihre Erscheinung fast komplett veränderten. Häufig beobachteten die Festgäste die Ankunft einer glamourösen Fremden, um dann unter der Haarmähne das Gesicht einer alten Bekannten zu entdecken. So war es auch an jenem Abend in Battersea: Plötzlich erkannte ich, dass diese beherrschte Hoheit auf Durchreise, die gerade mit Damian vorbeisauste, niemand anderes war als Serena Gresham. Kühl und gelassen entstieg sie dem Scooter und schlenderte zu mir herüber, die Ruhe selbst. »Hallo«, sagte sie.
    »Hallo! Wie geht’s denn so?«
    »Ich bin total durchgeschüttelt. Ich fühle mich wie ein Cocktail nach dem Mixen.«
    »Ich wollte gerade fragen, ob du noch mal fahren willst – mit mir.«
    »Unwahrscheinlich«, sagte Serena. »Aber ich hätte gerne noch etwas zu trinken.« Sie sah sich um, und bevor ich den Mund aufmachen konnte, hielt sie schon ein frisches Champagnerglas in Händen.
    Ich überließ sie dem Kreis ihrer Bewunderer und schlenderte zur Fahrbahn hinüber, wo schon alle Scooter besetzt waren. Da hörte ich jemanden meinen Namen rufen, Lucy Dalton winkte mir hektisch zu. Ich ging zu ihr hinüber. »Was ist denn?«, fragte ich.
    »Steig ein, um Himmels willen.« Lucy klopfte auf den abgeschabten Ledersitz neben sich. »Philip Rawnsley-Price ist im Anmarsch, und mein Hintern hat schon genug blaue Flecken abgekriegt.« Hinter mir hörte ich den Betreiber des Fahrgeschäfts rufen, wir sollten die Fahrbahn räumen. »Jetzt steig schon ein!«, zischte Lucy. Und ich gehorchte. Ganz hatte Lucys Fluchtversuch nicht geklappt; bevor wir losfahren konnten, hatte sich Philip zwischen den startenden Autos zu uns durchgeschlängelt, taub für die Rufe des Betreibers – damals achtete noch niemand auf so Banales wie Gesundheit und Sicherheit.
    »Wenn du versuchst, mir aus dem Weg zu gehen, dann gib lieber gleich auf«, sagte er zu Lucy mit einem lüsternen Grinsen, das wohl sexy sein sollte. »Wir beide sind füreinander bestimmt.« Bevor ihr etwas Schlagfertiges einfiel, erschütterte uns ein heftiger Ruck. Einer der Tremayne-Brüder war uns mit seiner kichernden Begleiterin
voll in die Breitseite gefahren. Dabei wurden wir nicht nur gründlich durchgeschüttelt, sondern auch mitten ins Getümmel geschleudert. Philip lachte auf und schlurfte langsam zur Bande zurück.
    Lucy Dalton wird auf diesen Seiten viel Raum einnehmen und ist daher eine Vorstellung wert, auch wenn sie meiner Ansicht nach kein sonderlich kompliziertes Naturell besaß. Wie Serena waren ihr die meisten Segnungen dieser Welt unverdient in den Schoß gefallen, allerdings in einem etwas bescheideneren Ausmaß, sodass sie von den Erfahrungen gewöhnlicher Sterblicher nicht ganz abgeschnitten war. Es ist für Außenseiter immer schwierig, innerhalb einer privilegierten Gruppe Status – und Besitzunterschiede zu erkennen, doch diese Unterschiede existieren. Weltklassefußballer, allesamt reicher als Midas, wissen sehr gut, wer in den eigenen Reihen zu beneiden und wer zu bemitleiden ist. Filmstars erkennen schnell, wessen Karriere ins Nichts führt und wer noch Jahre vor sich hat. Für die meisten klingt allein schon die Behauptung, dieser Millionär sei weniger zu beneiden als jener, eher lächerlich, aber für die Mitglieder jener Clubs sind solche Abstufungen sehr bedeutsam, und wenn man verstehen will, wie eine bestimmte Gesellschaft tickt, muss man sich damit beschäftigen.
    Auch uns konnte man nicht alle über einen Kamm scheren. Zwar war die Saison als solche schon in den Sechzigerjahren umstritten, umfasste aber immer noch eine engere gesellschaftliche Gruppe, als es heute der Fall wäre. Rückblickend befanden wir uns wohl auf halber Strecke zwischen der wirklichen Exklusivität der Vorkriegszeit und dem Fall aller Schranken ab den Achtzigerjahren. In den Tagen der Vorstellung bei Hofe wären einige unserer Mädchen nicht als Debütantinnen akzeptiert worden, was man sie immer noch spüren

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