Eine Klasse für sich
verplant warst.«
Ich nickte freundlich. »Schon in Ordnung. Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Warum solltest du ihn nicht als Ersten fragen? Er sieht doch viel besser aus als ich.« Das saß und ärgerte sie umso mehr, als sie keine Chance auf einen Gegenschlag hatte, denn wir waren bei unserem Tisch angelangt. Lady Dalton wies uns zu unseren Stühlen, mich hatte sie zwischen Carla Wakefield und Candida platziert.
Beim ersten Gang unterhielt ich mich mit Carla über gemeinsame Bekannte, unsere Studienorte, unsere Sommerpläne und die Sportarten, die wir mochten, bis der halb verzehrte Lachs abgetragen und das unvermeidliche Hähnchen serviert wurde. Damit wandte ich mich meiner anderen Tischnachbarin zu. Ich sah sofort, dass ich mit dieser Art von Konversation bei ihr nicht landen würde.
»Du machst das mit links, was?«, sagte sie zwar nicht gerade feindselig, aber auch nicht freundlich.
»Danke«, antwortete ich. Die Bemerkung war natürlich nicht als Kompliment gemeint, aber indem ich sie einfach als solches deutete, ließ ich weiteren Manövern keinen Spielraum. Candida blickte finster auf ihren Teller. Ich versuchte es mit einer ehrlicheren Gesprächseröffnung. »Wenn’s dir keinen Spaß macht, warum bist du dann überhaupt hier?«
Sie starrte mich an. »Weil meine Tante schon alles organisiert hatte, bevor ich überhaupt gefragt wurde. Weil sie die einzige Verwandte ist, der etwas an mir liegt. Aber am allermeisten deshalb, weil ich nicht weiß, was ich sonst machen soll.« Wie immer, wenn sie über ihre Familie redete, schwang eine kaum unterdrückte Wut mit. »Ab vierzehn war ich unter der Fuchtel meiner Stiefmutter, und wegen ihrer blödsinnigen Vorstellungen von Mädchenerziehung bin ich ungebildet, ohne alle praktischen Fähigkeiten und völlig untauglich für jede Erwerbsarbeit. Und jetzt soll ich ›meinen Platz im Leben finden‹, was immer das bedeuten mag. Meine Cousine Serena meint, ich hätte bessere Aussichten, wenn ich mehr Leute in London kennen
würde. Das will ich gar nicht bestreiten – nur ist das hier nicht die Sorte Leute, die ich gern kennenlernen möchte.« Mit einem abschätzigen Schnauben blickte sie in den Saal.
Der Verlust beider Eltern in so jungen Jahren war in der Tat ein hartes Schicksal, auch wenn Oscar Wilde es als Nachlässigkeit bezeichnet. »Auf welcher Schule warst du?«
»Cullingford Grange.«
Der Name kam mir vage bekannt vor. »Liegt die nicht in Hertfordshire?«
Candida nickte. »Das ist die Art von Schule, wo sich die Lehrer Sorgen machen, wenn man zu viel liest, statt an der frischen Luft zu sein.« Sie verdrehte die Augen. »Ich könnte die Hockeyregeln im Schlaf aufsagen, aber über Literatur, Mathematik, Geschichte, Kunst, Politik oder über das Leben an sich wurde mir leider nichts beigebracht.« Ich glaubte ihr aufs Wort; was sie sagte, klang nur zu vertraut.
Meine Generation ist hoffentlich die letzte, in der die Oberschicht keinen Wert auf die Bildung ihrer Töchter legt. Zwar gab es 1968 in Cambridge und Oxford bereits Frauencolleges, doch in der Regel studierten dort die Töchter der bürgerlichen Intelligenz. Töchter aus dem Adel waren eher eine Kuriosität; in meinem Jahrgang kann ich mich nur an eine Einzige erinnern, und die brach ihr Studium nach dem ersten Trimester ab, um einen Schlossbesitzer in Kent zu heiraten. Es gab Ausnahmen, aber sie stammten meist aus bekanntermaßen exzentrischen Familien, bei denen weibliche Bildung Tradition hatte, nicht aus dem Feld-Wald-und-Wiesen-Adel. Im Normalfall kratzten die Eltern alles verfügbare Geld zusammen, um ihre Söhne nach Eton, Winchester oder Harrow zu schicken; die Töchter aber überließen sie einer trunksüchtigen belgischen Komtesse mit der ausdrücklichen Anweisung, ihre Auftraggeber bitte schön nicht weiter zu behelligen.
Anschließend verbrachte die Tochter vielleicht noch ein Jahr in einem Pensionat, wo sie ihr Französisch und ihre Skilauftechnik aufpolierte, im Jahr darauf wurde sie in die Gesellschaft eingeführt, und anschließend trat sie eine Stelle an, bei der sie die Blumen für den Aufsichtsrat arrangierte, das Mittagessen für die Firmendirektoren
organisierte oder für ihren Vater tätig war, bis sie den Richtigen fand, im Idealfall einen Titelerben. Dann war alles gelaufen. Blieb zu hoffen, dass der noble Bräutigam auch Mama und Papa genehm war, denn sie wollten sehr wohl um ihren Segen gebeten werden, wie anno dazumal ihre eigenen Eltern. Unsere Mütter
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