Eine Klasse für sich
Herzogin ab. Jedenfalls eine Dame höchsten Ranges, sonst hätte das Ganze wohl nicht funktioniert. Mit ihrer steifen, kerzengeraden Haltung und der selbstbewussten Würde einer gekrönten Monarchin – was damals vielen älteren Damen, aber nicht mehr ihren Töchtern von Natur aus gegeben schien – verlieh sie der Prozedur schon vor ihrem Beginn eine gewisse Glaubwürdigkeit. Musik setzte ein, und wir sahen zur Treppe hoch, wo die Debütantinnen des Jahres in Paaren aufgereiht warteten. Dann schwebten sie langsam herab, gemessenen Schritts und feierlich wie bei einem Papstbegräbnis.
Im Scheinwerferlicht erstrahlten die weißen Blumen zwischen den schimmernden Locken, die langen weißen Handschuhe, die weiße Spitze und Seide der Ballkleider, die leuchtenden, stolzen, hoffnungsvollen Gesichter. Unten angelangt schritt jedes Paar bis zur Schirmherrin vor, versank in einen tiefen Hofknicks und bewegte sich dann weiter. Nicht allen gereichte diese Inszenierung zum höchsten Vorteil. Georgina wirkte eher wie Godzilla in einem wallenden Zelt, als sie zur terra firma hinunterwankte. Aber den meisten verlieh das gleichförmige Weiß fast etwas Ätherisches. Sechzig Engel stiegen auf die Erde herab, um das Leid der Sterblichen zu lindern.
Im Nachhinein ist man ja immer klüger, aber ziemlich sicher wurde mir genau in diesem Moment bewusst, dass diesem Ritual kein langes Leben mehr beschieden war. Dass nicht mehr viele Generationen an dieser oder ähnlichen Darbietungen teilnehmen würden. Dass die Träume unserer Eltern, ihren Kindern die alte Vorkriegswelt zu bewahren, eine Schimäre waren, kurz, dass ich hier den Anfang vom Ende erlebte. Unglaublich, aber wahr: Der Anblick war durchaus eindrucksvoll. Wie alle Synchronbewegungen hatte die Prozession etwas Imposantes, als ein Paar ums andere erschien, die Treppe herabschwebte und nach einem tiefen Knicks weiterzog. Und das alles vor einer monströsen Torte. Mag die Schilderung auch lächerlich klingen, absurd, sogar zum Schreien komisch, ich kann als Augenzeuge nur sagen, so war es keineswegs.
Das Schauspiel war zu Ende. Die Mädchen hatten ihre Feuertaufe hinter sich gebracht, ihr Status als diesjährige Debütantinnen war etabliert, und der Tanz konnte beginnen. Als Gegengewicht zum feierlichen Ernst spielte die Band die Nummer eins der damaligen Hitparade, Simple Simon Says , einen jener schweißtreibenden Songs voller unerbetener Anweisungen für die Zuhörer, »streckt die Hände in die Luft, schüttelt sie« und so weiter, aber bei aller Dümmlichkeit ein hervorragender Eisbrecher. Lucy tanzte bereits mit einem der anderen Männer unserer Tischrunde, deshalb forderte ich Candida auf, und wir gingen gemeinsam zur Tanzfläche hinüber. »Wer ist denn dieser Typ da drüben, mit dem du dich vor dem Essen unterhalten hast?«, erkundigte sie sich. Ich brauchte nicht hinzusehen, um zu wissen, wen sie meinte.
»Damian Baxter«, sagte ich. »Er studiert mit mir in Cambridge.«
»Du musst uns unbedingt bekannt machen.« Und dann begegnete mir zum ersten Mal ein besonders Furcht einflößendes Verhalten aus Candidas Repertoire. Jeder Mann, den sie attraktiv fand, löste bei ihr eine Art manisches Ritual aus, das kokett sein sollte, aber mehr an einen Willkommenstanz der Maori erinnerte: Erst rollte sie mit den Augen und kicherte, dann wippte sie vor und zurück und stieß ein dröhnendes Gelächter aus, das eher zu einem durstigen Maurer als zu einer zarten Debütantin passte. Fairerweise muss ich zugeben, dass sie damit ihr unmittelbares Ziel oft genug erreichte, denn das Angebot ließ an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig, und wir waren damals nicht verwöhnt. Methodisch eingesetzt, führten solche Balzsignale allerdings nicht zu einer dauerhaften Beziehung und brachten Candida bis zum Saisonende den Ruf einer gewissen Leichtfertigkeit ein. Ich selbst war nie direktes Ziel eines solchen Auftritts, weil sich Candida nicht für mich interessierte, aber sogar das Beobachten kostete Nerven.
Ich folgte Candidas gierigem Blick und sah Damian inmitten einer kleinen, aber bewundernden Schar. Serena Gresham war dabei, die gerade hell auflachte, Carla Wakefield und noch ein paar andere Mädchen, die ich nicht erkannte. Etwas abseits stand Georgina in ihrer üblichen Rolle des pikierten Mauerblümchens, das zusieht, wie
die anderen ihren Spaß haben. Auch Andrew Summersby gehörte zu Georginas Gesellschaft; Mrs. Waddilove versuchte eifrig, aber erfolglos, ihn ins Gespräch
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