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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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Boshaftigkeit fernlag, aber sie hatte noch nicht gelernt, heikle Fragen zu meiden, um andere nicht in Verlegenheit zu bringen. Zum Teil lag das daran, dass
sie trotz ihrer hohen Ansprüche im Grunde nicht an Geld interessiert war. Wenn Damians Eltern keine Londoner Wohnung hatten, weil sie sich keine leisten konnten, dann hätte sie sie deshalb nicht gering geschätzt. Das heißt, sie war großherziger als die meisten von uns. Damian ließ sich wie üblich nicht das Geringste anmerken.
    »Nein«, sagte er ohne weitere Erläuterungen. Damals war es mir noch nicht aufgefallen, aber er gab nie etwas von sich preis, außer wenn man ihn direkt fragte. Und selbst dann bekam man nur sorgfältig rationierte Häppchen serviert.
    »Ich glaube, wir sollten uns langsam zu unserem Tisch begeben.« Georgina hatte sichtlich genug davon, dass sich Miss Langley Damian so aufdrängte, wie sie es wohl ausdrücken würde. Ich lächelte dem Gegenstand ihres Unmuts zu.
    »Gehörst du auch zu diesem Tisch?«
    »Bei meiner Mutter? Selbstverständlich nicht.« Joanna schüttelte lachend den Kopf, und ich ertappte mich dabei, wie ich gebannt auf ihre Lippen starrte. Für mich war ihre Schönheit von einer fesselnden Vollkommenheit, und ich fühlte mich wie neben einer Filmikone auf einer imaginären Leinwand. »Glaubst du, sie lässt sich die Chance entgehen, einen eigenen Tisch zu haben?« Sie nickte zu einer Stelle weiter oben im Saal, wo ich eine umtriebige kleine, mit viel Schmuck behängte Frau sehen konnte, die nervös in unsere Richtung blickte. »Ich gehe mal lieber.« Damit schlenderte sie davon. Auch Georgina setzte sich in Bewegung.
    »Du gehst jetzt wohl auch«, sagte Damian. »Denk an mich.« Letzteres war halblaut geflüstert, was mich ärgerte, weil Georgina es gerade noch hätte aufschnappen können; allerdings war ich nicht sicher, ob sie es tatsächlich mitbekam.
    »Du bräuchtest nicht an diesem Tisch zu sitzen. Du hättest meinen Platz haben können, wenn du dich nicht auf das erstbeste Angebot gestürzt hättest.« Weder versuchte noch beabsichtigte ich, meine hämische Bemerkung vor Lucy zu verheimlichen. Deshalb konnte Damian seine Antwort direkt an sie richten.
    »Um mit Madame Greffulhe zu sprechen: Que j’ai jamais su. «
Lucy lachte. Aber jetzt nahmen die Gäste wirklich ihre Plätze ein, deshalb machten auch wir uns auf den Weg zu unserem Tisch.
    »Wer ist diese Madame Dingsbums?«, fragte ich Lucy.
    »Marcel Proust ist als junger Mann zu ihren Gesellschaften gegangen. Als sie Jahre später gefragt wurde, wie es denn gewesen sei, ein solches Genie in ihrem Salon gehabt zu haben, antwortete sie: Que j’ai jamais su! «
    »Hätt ich’s nur gewusst.«
    »Genau.«
    Ich schwieg und fragte mich im Stillen, woher Damian solche Dinge wusste. Und woher wusste er, dass Lucy das Zitat kannte? Später erfuhr ich, dass das zu Damians Talenten gehörte. Wie ein Eichhörnchen suchte und speicherte er alle möglichen abwegigen Informationsschnipsel, in diesem Fall die verblüffende Tatsache, dass Lucy Proust las, um sie hervorzuholen, sobald sich damit eine besondere Verbindung schaffen ließ, die alle anderen Anwesenden ausschloss, zwischen ihm selbst und dem Objekt seiner Aufmerksamkeit aber eine gewisse Intimität herstellte. Ich hatte schon öfter beobachtet, wie sich jemand dieses Tricks bediente, aber selten mit einem derartigen Erfolg. Damian traf stets punktgenau den richtigen Moment. Lucy lächelte. »Bitte sag jetzt nicht, das du überrascht bist.«
    »Doch, ein bisschen schon.« Ich sah mich unter den schnatternden, kichernden Scharen um, die jetzt mit ihren Stühlen an die Tische mit den leuchtend weißen Damasttischdecken heranrückten. »Ich möchte bezweifeln, dass viele dieser Mädels Proust lesen.«
    »Wenn sie es täten, würden sie es dir nicht auf die Nase binden. Die Männer hier bauschen auf, was sie wissen. Die Frauen verbergen es.« Ich hoffe, dass das heute nicht mehr gilt, aber damals, fürchte ich, traf es ins Schwarze.
    Lucy delektierte sich an meinem verschnupften Schweigen, bis ich es schließlich selber brach. »Ich dachte, du magst ihn nicht«, sagte ich. Nur scheinbar ein Gedankensprung.
    Sie zuckte mit den Achseln. »Ich mag ihn auch nicht besonders. Wer hat eigentlich ausgeplaudert, dass ich ihn zuerst gefragt habe?«
    »Er selbst. Wieso? War das ein Geheimnis?«

    »Nein.« Sie sah mich an. »Tut mir leid. Ich hätte dich als Ersten einladen sollen. Ich hatte wohl angenommen, dass du schon

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