Eine Klasse für sich
zu ziehen, genauer gesagt in ein Gespräch mit ihrer Tochter. Weder Andrew noch Georgina spielten mit, beiden fehlte es völlig an Interesse.
Die drei wurden von einer älteren Dame beobachtet, die auf der anderen Seite des Tischs stand. Sogar in dieser überspannten Gesellschaft fiel sie als seltsame Erscheinung auf. Ihr nahezu pechschwarzes Haar passte mehr nach Benidorm als ins gute alte Britannien und stach eigenartig ab von ihren hochnäsigen Zügen einer holländischen Puppe mit hellblauen, grün und bernsteinfarben gesprenkelten Augen, deren bohrender Blick mehr als nur leicht irre wirkte. Reglos hörte sie der dahinholpernden Konversation zu, bedrohlich wie ein Raubtier, das gleich zum Sprung ansetzt. »Wer ist denn die Dame gegenüber von Mrs. Waddilove und Andrew Summersby?«
Candida, die gerade Damian mit den Augen verschlang, riss ihren Blick von ihm los. »Lady Belton. Andrews Mutter.« Ich nickte. Das hätte ich mir eigentlich denken können, da ich unter den Mädchen der Waddilove-Gruppe jetzt auch Andrews Schwester erkannte, Annabella Warren. Ich sah wieder zu Madame Mère hinüber, die den Blick über die Anwesenden schweifen ließ. Ich hatte Lady Belton noch nie gesehen, aber bereits von ihr gehört. Ein Blick genügte, um ihren Ruf zu bestätigen.
Die Countess von Belton war nicht beliebt, wahrscheinlich, weil sie nichts Liebenswertes an sich hatte. Sie tat sich durch Dummheit, unbegreifliche Arroganz und einen ans Debile grenzenden Snobismus hervor. Eitel und verschwendungssüchtig war sie nicht, das muss man ihr lassen, aber sie übertrieb es so weit in die andere Richtung, dass man von Tugend nicht mehr sprechen konnte. Was sie an jenem Abend trug, sah aus wie aus dem Schaufenster eines Oxfam-Ladens in West Hartlepool. Später lernte ich sie kennen und verabscheuen, aber so seltsam es klingt – sie hatte was. Vielleicht wirkte sie durch ihre absolute Weigerung, sich der Zeit zu beugen, moralisch überzeugend. Jedenfalls blieb sie mir von all den Müttern jenes Jahres am lebhaftesten in Erinnerung, auch wenn ich ihren geplagten Mann, der
immer einen Vorwand zum Fernbleiben fand, noch nicht kennengelernt und mich mit Lord Summersby, dem drögen ältesten Sohn und Erben, nur kurz unterhalten hatte. Selbst ohne dieses Hintergrundwissen erkannte ich sofort, dass Georginas Mutter allzu plump vorging und ihr Ehrgeiz völlig unrealistisch war.
Auch Candida sah, wie Mrs. Waddilove ihr Lächeln von einem zum anderen blitzen ließ und ihre Netze auswarf. Sie sprach meine Gedanken aus: »Träumen Sie weiter, Mrs. Waddilove.«
Candida hatte recht. Für diese mütterlichen Fantasien gab es keine Hoffnung. Dem flüchtigsten Beobachter war klar, dass die engstirnige Lady Belton einer Verbindung mit Leuten wie den Waddiloves niemals zustimmen würde, auch wenn sie sich an jenem Abend dazu herabließ, auf deren Kosten zu speisen und zu trinken. Eine solche Ehe kam nicht infrage, da hätte Georgina noch so hübsch sein können. Außer sie brächte eine Mitgift in Höhe der Gesamtschulden aller afrikanischer Staaten mit. Und Lady Beltons Sohn war meinem Empfinden nach unfähig, selbstständig zu denken, was sich später bestätigen sollte. Aber Georgina war ohnehin nicht der Typ, der eine leidenschaftliche, sich über alles hinwegsetzende Liebe entfesseln konnte – traurig, aber wahr.
Wir tanzten ohne Pause. Als wohlerzogener junger Mann forderte ich meine Gastgeberin Lady Dalton auf, eine damals übliche, heute kaum noch gepflegte Sitte. Für mich hatte es immer etwas leicht Komisches, eine Dame mittleren Alters übers Parkett zu schieben, die Hand auf dem Fischbeingestänge, das so oft unter dem Stoff der Abendrobe zu spüren war: Sie wünschte sich, es wäre ein Foxtrott, ich selbst sehnte das Ende herbei. Trotzdem bedaure ich, dass die Tradition, mit den Eltern seiner Freunde zu tanzen, untergegangen ist. Sie schlug eine Brücke zwischen den Generationen, und in unserer zunehmend zersplitterten Gesellschaft können wir alle gangbaren Brücken gut gebrauchen. »Wissen Sie schon, was Sie nach dem Studium machen?«, erkundigte sich Lady Dalton leutselig, während wir unsynchron herumstolperten.
Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe noch keine festen Pläne.«
»Kein vorgezeichneter Weg, keine Fußstapfen, in die Sie treten?«
Wieder musste ich verneinen. »Es gibt keinen Landbesitz zu verwalten, kein Familienunternehmen, in das ich einsteigen könnte.«
»Was macht Ihr Vater?« Diese Frage grenzte fast
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