Eine Klasse für sich
ein Niemand war. Sondern in die Zukunft aufbrechen, wo er alles werden konnte, was er sich wünschte. Recht hatte er! Dort gehörte er hin.« Sie drehte sich wieder nach ihrer Tochter um, die jetzt hinter uns ging. »Dagmar hatte ihm nichts zu bieten, was ihm dort weitergeholfen hätte.« Sie dämpfte die Stimme. »Es wäre vielleicht anders gewesen, wenn er sie geliebt hätte. Aber so lockte ihn nicht genug, was ihm von Nutzen sein konnte.«
Ich sah verblüfft auf den Weg zurück, den Damian in jenem sagenhaften Jahr bewältigt hatte: am Anfang der Begeisterungstaumel über seine erste Einladung, die er von Georgina der Dicken erhalten hatte, und am Ende die Abfuhr, die er einer echten Prinzessin erteilte. So etwas können nicht viele von sich behaupten. Plötzlich wurden Schritte laut, und auf der Auffahrt, die hier einen Bogen machte, tauchte hinter der Lorbeerhecke William auf, beinahe im Stechschritt, ausstaffiert mit einer brandneuen Barbourjacke und blitzblanken Gummistiefeln. Als er mich erblickte, runzelte er die Stirn. Seiner Berechnung nach hätte ich längst abfahren müssen. »Da ist ja William«, sagte ich munter. Seine Schwiegermutter blickte ihm mit verächtlichem Schweigen entgegen. »Es war sicher eine große Erleichterung, dass er in die Bresche gesprungen ist, als Dagmar ihn brauchte«, entschlüpfte es mir gedankenlos.
Die Großherzogin wandte mir ein starres Fischauge zu. »Ich verstehe nicht«, sagte sie kalt. Mir war, als tauchte eine alte Bekannte auf.
»Ich meine, als Dagmar es mit dem Heiraten eilig hatte.«
»Sie hatte es nicht eilig . Sie fand es an der Zeit.« Nachdem dies geklärt war, entspannte sich die Großherzogin und verschwand nach ihrem kurzen Ausflug wieder in der munteren kleinen Rentnerin. »William konnte Dagmars Mitgift brauchen, Damian nicht. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.« Sie warf mir einen Blick zu. »Ich weiß, dass Sie sich letzten Endes mit ihm überworfen haben.« Ich widersprach
ihr nicht. »Dagmar hat mir von diesem Vorfall in Portugal erzählt. « Jeder hat es jedem erzählt, dachte ich bitter. »Aber das hat Sie blind dafür gemacht, was er war und was er erreichen konnte. Als Damian aus unserem Leben verschwand, habe sogar ich erkannt, dass er ein ungewöhnlicher Mensch war.« Heute frage ich mich, ob sie es nicht ungemein genoss, diese Dinge mit einem Zeitzeugen durchzusprechen. Zumal ich ein alter Freund war oder doch jemand, den sie seit Langem kannte, was irgendwann fast dasselbe ist, und wir uns aller Wahrscheinlichkeit nie wiedersehen würden. Ich bot ihr die unerwartete Chance, jene fernen Jahre und Entscheidungen noch einmal nach ihrem Sinn abzuklopfen. Ich wette, dass das Thema bei den Holmans selten aufs Tapet kam, und so nutzte die Großherzogin meine Anwesenheit nach Kräften. Anders kann ich mir ihre nächste Bemerkung nicht erklären. »William hatte weder Damians Kreativität noch sein Vertrauen in die Zukunft«, sagte sie. »Bei allen seinen Fehlern war Damian ein Visionär, William dagegen nur ein langweiliger, ungehobelter Parvenü.«
»Was nicht heißt, dass er Ihre Tochter nicht geliebt hat.« Ich sah keinen Grund, warum wir ihm im Zweifelsfall nicht edle Motive zugestehen sollten.
Aber sie schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Sie hat ihm ein Gefühl von Bedeutung gegeben, weiter nichts. Deshalb hegt er jetzt solchen Groll gegen sie. Er erträgt den Gedanken nicht, dass er sie einmal gebraucht hat, um sein kleines Ego aufzublähen.« Dazu schwieg ich mich aus. Nicht etwa, weil ich ihre Illoyalität missbilligte. Im Gegenteil, durch das Vertrauen, das sie mir durch eine solche Indiskretion bewies, fühlte ich mich geehrt. Aber ich hatte nichts Sinnvolles dazu beizutragen. Sie sah mich an und lachte. »Ich kann ihn einfach nicht ausstehen. Ich glaube, Dagmar auch nicht, aber darüber sprechen wir nie.«
»Das hat ja auch keinen Sinn. Außer, sie zieht die Konsequenzen. «
Sie nickte. Meine Bemerkung traf ins Schwarze, und sie wurde traurig. Das ganze Gespräch führte sie auf unwegsames Neuland, ihre Augen begannen leicht zu schimmern. »Ich weiß nur nicht, wie
wir dann alle zurechtkommen sollten. Er würde Mittel und Wege finden, ihr bei einer Trennung ihren Anteil zu verweigern, irgendein Rechtsverdreher würde ihre Ansprüche schon widerlegen. Und was dann?« Sie seufzte müde; nach der harten Arbeit im Weinberg des Lebens fand sie nicht die verdiente Ruhe. In der Ferne hörte man nun das leise Brummen eines Motors.
Weitere Kostenlose Bücher