Eine Klasse für sich
sich um das Ende herumdrückt, eines Menschen unwürdig. Genauso unwürdig verhielt ich mich gegenüber Bridget FitzGerald.
Mein Vater war ganz schön gereizt, als er abhob. »Wo hast du denn den ganzen Tag gesteckt?«, fragte er.
»Ich musste zum Lunch nach Hampshire.«
»Warum denn das?« Wie jeder Erwachsene weiß, dessen Eltern ein gewisses Alter erreicht haben, ist es zwecklos, sich mit solchen Dingen aufzuhalten.
»Du hättest mich auf dem Handy anrufen können«, schlug ich vor.
»Das ist beim Fahren doch verboten.«
»Ich habe Kopfhörer.«
»Trotzdem.« Auch in solchen Fällen ist Schweigen das einzig Vernünftige. Als der Ärger meines Vaters verraucht war, kam er auf den Grund seiner Anrufe zu sprechen. »Ich möchte, dass du zu mir kommst. Es gibt ein paar Dinge zu bereden.«
Als das Gespräch zu Ende war, kam Bridget mit einem Teller aus der Küche, auf den sie bereits eine Riesenportion Schmorfleisch und diverses Gemüse gehäuft hatte. »Ich hab das Essen schon in der Küche verteilt. Ich weiß, dass du das nicht so gern magst, aber wir haben nicht den ganzen Abend Zeit.«
Solche wichtigtuerischen Bemerkungen reizen mich bis aufs Messer. »Ach ja?«, sagte ich kühl. »Seit ich dem Kindergarten entwachsen bin, kann ich es nicht leiden, wenn man mir vollgeschaufelte Teller vorsetzt. Ich entscheide lieber selbst, was ich esse. Und ich sehe auch keinen Grund, warum wir nicht den ganzen Abend Zeit haben sollten. Welche wichtigen Verpflichtungen treiben uns denn zu solcher Eile?« Nachdem ich dieses Gewäsch von mir gegeben hatte, das nicht weniger wichtigtuerisch war als Bridgets Provokation, setzte ich mich an den Tisch.
Aber Bridget hatte noch mehr auf Lager. »Ich fürchte, es ist ziemlich zerkocht«, seufzte sie, als sie mir den Pampf servierte.
Spätestens jetzt war klar, dass wir richtig Streit hatten; mich verließ der letzte Rest Geduld. »Ich kann mir nicht vorstellen, warum, da ich vor acht hier war«, knurrte ich absichtlich hart und kalt, als Gegengewicht zu ihrem Jammerton. »Wann wolltest du denn essen? « Sie biss sich auf die Lippe und schwieg.
Das war natürlich ein gemeiner Seitenhieb. Bevor wir uns kennenlernten, aß Bridget meist gegen halb sieben oder sieben zu Abend, und dass ich auf einer Essenszeit von halb neun oder neun beharrte, fand sie weniger unvernünftig als verschroben. Das wird vielen bekannt vorkommen, die sich auf der Partnersuche über vertraute Weidegründe hinausgewagt haben. Sogar heute noch, wo die exotischsten Dinge von Avocado bis Sushi alltäglich geworden sind, kann der Zeitpunkt ihres abendlichen Verzehrs einen erbitterten Kulturkampf heraufbeschwören. Ein frühes Abendessen leuchtet mir nur ein, wenn es als Stärkung für kommende Abenteuer dient. Man isst um sechs oder halb sieben, damit man um sieben startbereit ist für den Spaß der nächsten Stunden. Das kann ein Besuch in einem Club oder Pub sein, Sport, das Erlernen von Makramee, Mandarin oder Volkstänzen, oder auch nur Fernsehen auf dem Sofa. Der Abend liegt vor einem, und wer früh gegessen hat, kann sich ungestört ins Vergnügen stürzen.
Für die Oberschicht ist diese Vorstellung völlig abwegig, denn für sie besteht die Abendunterhaltung ja im Essen. Das Dinner ist der Höhepunkt, das Herzstück, der eigentliche Zweck des Tages. Wenn die Esserei um halb acht schon vorbei ist, was zum Teufel soll man dann tun, bis man zu Bett geht? Blaublüter nehmen weder an Selbsthilfe – noch an Laienschauspielgruppen teil und machen weder Kunstgeschichte – noch Patchworkkurse, ebenso wenig setzen sie sich in eine Kneipe. Deshalb ist auch ein Engagement in der Kommunalpolitik so schwierig. Sämtliche Sitzungen finden genau dann statt, wenn man lieber aus ganz anderen Gründen bei Tisch säße. Alle, die die große soziale Kluft egal in welcher Richtung überschreiten, dürften hier die größten Anpassungsschwierigkeiten haben. Bridget war
es jedenfalls schwergefallen, sich an die späte Essenszeit zu gewöhnen, und jetzt reizte ich sie gezielt, beleidigte sie, machte sie herunter. Ich schämte mich. Aber nicht genug, um zu meiner guten Laune zurückzufinden. Ich starrte auf mein Essen. »Ich wünschte, du würdest mir den Teller nicht so vollladen. Das stößt mich richtig ab«, maulte ich weiter und breitete meine Serviette aus. »Ich fühle mich wie ein Penner, der abgefüttert wird, bevor er in seine Obdachlosenunterkunft abzieht.«
»Und ich fühle mich wie das Dienstmädchen, das ihm
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