Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
Vom Netzwerk:
verteidigen, und lenkte ein. »Das heißt nicht, dass ich sie nicht mochte, aber ich fand einfach, ihr hättet nicht zusammengepasst. Meiner bescheidenen Meinung nach.«
    »Ja. Schon gut.« Ich verstummte.
    Verlegenheit machte sich breit. Meinem Vater wurde zu seinem Unbehagen bewusst, dass er sich in fremde, womöglich für mich schmerzliche Bereiche vorgewagt hatte. Er lächelte gut gelaunt, um das Gespräch wieder in normale Bahnen zu lenken. »Ich hoffe, ich kann die Neue noch kennenlernen, wenn sie auftaucht.«
    »Das hoffe ich auch«, sagte ich und meinte es auch so. Es tut mir sehr leid, dass er keine Gelegenheit mehr dazu hatte.
    Wir verbrachten den restlichen Nachmittag damit, sein Testament durchzugehen. Dann war alles geklärt. Seine Wünsche zur Gestaltung des Gottesdiensts waren die eines Gentleman. Alles sollte in bescheidenem Rahmen bleiben, viel Zurückhaltung, kein Pomp.
    Vor meiner Abfahrt brühten wir uns in der Küche noch Tee auf. Auch dafür hatte Mrs. Snow alles auf dem Küchentisch bereitgestellt, inklusive Keksteller, mit Frischhaltefolie versiegelt. Sie hielt meinen Vater offenbar für unfähig, im Haushalt den kleinsten Handgriff ohne Hilfe zu tun, wahrscheinlich zu Recht. Mein Vater kam noch einmal auf meine gegenwärtige Situation zurück. »Ich finde, Damian verhält sich nicht korrekt«, sagte er nach einer längeren Pause, während er zwei Tassen Tee einschenkte. »Ihr werdet fast sicher ein stabiles Leben aus dem Gleichgewicht bringen. Ein Mann oder eine Frau wird plötzlich eine Million Mal reicher sein als alle Geschwister, reicher als alle Verwandten. Die Mutter wird ihrem Mann erklären müssen, dass ihr ältestes Kind einen anderen Vater hat. Das wird nicht einfach sein.«
    »Das Geld könnte aber auch einem von Armut geknebelten Leben plötzlich Flügel verleihen, sodass noch Großes erreicht werden kann, meinst du nicht?«
    »Du klingst wie ein Roman vom Bahnhofskiosk.«
    »Und du wie jemand vom Finanzamt.«
    Er biss in seinen trockenen Keks. Mrs. Snow ging nie ein Risiko ein, auch nicht bei Keksen. »Ich finde es auch nicht fair von Damian,
dir diese Last aufzubürden. Es ist ja nicht so, dass er bei dir etwas guthätte.«
    »Nein.« Aber ich wollte nicht so tun, als wüsste ich nicht, warum er gerade mich darum gebeten hatte. »Leider gab es sonst niemanden, der diese Aufgabe hätte übernehmen können.«
    »Vielleicht. Aber ihm war wohl nicht ganz klar, was er dir zumutet. «
    Eine kryptische Bemerkung, auf die ich nicht gefasst war. »Warum? Was mutet er mir denn zu?«
    »Du musst dich mit deiner eigenen Vergangenheit befassen und wirst sie unweigerlich mit deinem heutigen Leben vergleichen. Du musst dich daran erinnern, was du mit neunzehn vom Leben erwartet hast, vor vierzig Jahren, bevor du überhaupt wusstest, worum es geht. Du wirst auch noch damit konfrontiert, was sich alle anderen vom Leben erwartet haben, diese albernen, zu stark geschminkten Mädchen und die eitlen, wichtigtuerischen jungen Männer, mit denen du unterwegs warst. Dir wird bewusst, was aus ihnen geworden ist. Was aus dir selbst geworden ist. Im Alter muss sich irgendwann jeder, der ein bisschen Grips hat, mit den Enttäuschungen seines Lebens auseinandersetzen, aber du bist nun sehr früh dazu gezwungen. Das kann dich nur unzufrieden machen. Es ist zu spät oder fast zu spät, um noch viel zu ändern, andererseits so früh, dass du noch viele Jahre mit dieser Unzufriedenheit leben musst. Damian hätte sich sein eigenes Leben vermiesen sollen, nicht deins.«
    »Er hat nicht mehr viel eigenes Leben vor sich, das er sich vermiesen könnte.«
    »Trotzdem.«
    Natürlich hatte mein Vater im Grunde vollkommen recht.

    Glückliche Fügung? Erklärt sie jene seltsamen Zufälle, die in unserem willkürlichen Leben ab und zu das Gefühl aufkommen lassen, hinter allem stünde ein Plan? Oder beruht dieses Gefühl mehr auf plötzlichen Erkenntnissen, auf beiläufigen Einsichten, die zu einem tieferen Verständnis führen? So oder so, ich glaube, dass bei der
nächsten Station meiner von Damian initiierten Reise eine glückliche Fügung im Spiel war.
    Bridget und ich verbrachten das Wochenende bei einem sehr anstrengenden Architekten und seiner äußerst charmanten Frau in einem Haus, das er vor einigen Jahren in Yorkshire gekauft hatte. Es handelte sich um einen alten, geschichtsträchtigen, großartigen Herrensitz – oh, wie der neue Besitzer sich dessen bewusst war! Er hieß übrigens Tarquin Montagu, ein

Weitere Kostenlose Bücher