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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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jemand mit Klatsch und Tratsch kam.
    Damit hatte er meine Mutter zum Verstummen gebracht. Da sie mit ihm nie über die Privatangelegenheiten ihrer Bekannten reden durfte, versiegten ihre Gespräche. »Was geht uns das an?«, sagte er immer, und dann nickte sie, stimmte ihm zu, er habe natürlich recht, und schwieg. Er fand es zeit seines Lebens ungehörig und kleinlich, in privaten Angelegenheiten anderer Leute herumzustochern; sie gab ihre Versuche auf, ihn zu ändern, und besprach persönlichere Themen stattdessen mit ihren Freundinnen und Kindern. Ich bin dankbar, dass die beiden ihre letzten Jahre im Zeitalter des Fernsehens verbrachten, sonst wären ihre Abende sehr still gewesen. Doch jetzt zeigte er tatsächlich Interesse an meinem Seelenzustand und bat um eine persönliche Erklärung! Das war so einmalig, dass ich keine Zeit mit Ausflüchten verschwenden durfte.

    »Ich habe das Gefühl, dass sich in meinem Leben etwas ändern muss. «
    »Wie meinst du das? Willst du Bridget loswerden? Aufhören zu schreiben? Die Wohnung verkaufen? Oder was?«
    »Ja«, sagte ich einfach. Wir starrten einander an. Dann dachte ich noch einmal nach. »Ich glaube nicht, dass ich aufhören will zu schreiben.«
    »Gibt es konkrete Gründe?«
    Ich erzählte ihm von Damians Bitte und wie weit ich bisher gekommen war. Er dachte kurz nach. »Ich mochte ihn damals ganz gern, bis ihr euch verkracht habt.« Er schwieg, aber ich hatte nichts dazu anzumerken. »Trotzdem staune ich, dass er im Leben so vieler Menschen einen solchen Eindruck hinterlassen hat«, sagte er schließlich.
    »Nach allem, was ich seinetwegen durchgemacht habe, will ich nicht sein Loblied singen, aber er ist der Einzige aus unserer damaligen Gruppe, der es wirklich zu etwas gebracht hat. Er gehört zu den Erfolgreichsten seiner Generation.«
    »Das stimmt natürlich. Daran habe ich nicht gedacht.« Mein Vater redete, als fühlte er sich zu Recht korrigiert. »Und wo ist nun das Problem?«
    »Ich bin mir selbst noch nicht ganz im Klaren, aber ich vergleiche nun ständig das, was wir uns damals von der Zukunft erhofft haben, mit dem, was tatsächlich eingetroffen ist. Und das deprimiert mich wohl. «
    Mein Vater nickte. »Um mit Nanny zu sprechen: Man soll keine Vergleiche anstellen.«
    »Es ist auch völlig sinnlos, was einen aber nicht davon abhält.« Mir lag plötzlich viel daran, dass er mich verstand. »Doch das ist noch nicht alles. Ich weiß nicht, was unser Leben eigentlich soll. Damian mag der Welt seinen Stempel aufgedrückt haben, aber sonst hat das keiner von uns geschafft.«
    »Nicht jeder kann weltberühmt werden. Und Milliardär.«
    »Das ist ja auch nicht nötig, aber jeder braucht das Gefühl, dass er irgendwie wichtig ist. Dass sein Leben in einem größeren Zusammenhang
steht. Da stellt sich die Frage: Wo gehöre ich eigentlich hin? Was habe ich geleistet?«
    Er nahm mich nicht sehr ernst. »Glaubst du nicht, dass die Menschheit sich das fragt, seit Chaucer seinen ersten Bleistift spitzte? «
    »Ich glaube, es hat Zeiten gegeben, in denen sich die meisten Menschen als Teil einer lebendigen Kultur fühlten. Sie hat ihre Identität mitbestimmt. ›Ich bin ein Bürger Roms‹, ›Gott segne Amerika‹, ›Wer als Engländer zur Welt kommt, hat das große Los gezogen‹. Etwas in der Art. Die Leute betrachteten ihre eigene Kultur als wertvoll und waren glücklich, dass sie dazugehörten. Ich bin ziemlich sicher, dass ich vor vierzig Jahren ähnlich dachte.«
    »Vor vierzig Jahren warst du jung. « Er lächelte, offensichtlich wenig beeindruckt von meinem existenziellen Gegrübel. »Was hast du auf dem Herzen? Willst du die Wohnung verkaufen? Wenn ja, dann tu’s. «
    Da hätte ich eigentlich gehen können. Denn wenn ich ehrlich bin, war ich im Grunde nur hergekommen, um mir genau dafür sein Einverständnis abzuholen. Mit seiner raschen, freimütigen Reaktion auf meine Klagen überrumpelte er mich richtig; ich hatte gedacht, ich müsste ihn viel länger bearbeiten. Ich muss erklären, wie großzügig seine Zustimmung war, großzügiger, als es ein Außenstehender auf Anhieb begreifen kann: Meine Mutter hatte damals darauf gedrängt, mir die Londoner Wohnung zu überlassen, für meine Eltern eine spürbare Kapitaleinbuße. Mein Vater sträubte sich eine Weile, weil er sah, dass ihr Lebensstandard darunter leiden würde, aber schließlich gab er ihren Bitten nach. Und jetzt kam ich an und wollte diesen Besitz verschachern, das Geld einstecken und mich

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