Eine Klasse für sich
für den richtigen Ort, um solche Aversionen kundzutun, meinst du nicht auch?«
»Immerhin ist das deine letzte Chance.« Das brachte ihn zum Schmunzeln. »Ich halte die Rede«, setzte ich hinzu.
»Danke.« Er lachte leise vor sich hin, um seine Rührung zu überspielen. »Ich habe Louise das Haus vermacht, weil du ja die Wohnung hast.«
Was er sagte, war vollkommen logisch und wahr, trotzdem spürte ich einen irrationalen Anflug von Ärger. Kann man mit solchen Verfügungen jemals zufrieden sein? Einzelkinder vielleicht, Geschwister nie. »Und was ist mit den ganzen Sachen?«
»Ich dachte, die könnt ihr euch teilen. Das habe ich nicht im Einzelnen aufgeführt.«
»Solltest du aber.«
»Was? Jeden Teelöffel?«
»Jeden Teelöffel. Bitte.« Er sah mich bekümmert an. Wahrscheinlich hätte er gern geglaubt, dass seine Kinder gut miteinander auskamen. Taten wir im Prinzip ja auch, aber wir hatten eigentlich keine enge Beziehung mehr, und ich wusste, dass Louises Mann, eine grauenhafte Nervensäge, dazwischenfunken und darauf drängen würde, alles von Wert mitzunehmen, wenn mein Vater dem jetzt keinen Riegel vorschob. »Tom wird sagen, dass sie schließlich Kinder
haben und ich nicht und dass deshalb alle Familienerbstücke an sie gehen müssen. Wir werden streiten, Louise wird in Tränen ausbrechen, ich werde laut werden, und Tom wird beleidigt dreinschauen. Außer du legst alles schwarz auf weiß fest. Dann gibt es keine Diskussionen. «
»Na schön.« Er nickte ernst. »Weißt du was? Ich werde ihr den Schmuck deiner Mutter vermachen, und du bekommst den ganzen Rest. Wenn du willst, kannst du ihr ja das eine oder andere abtreten. Wahrscheinlich erbt es ihre Brut ja doch einmal, wenn du keinen eigenen Nachwuchs kriegst.«
»Vermutlich. Das Katzenasyl kriegt sicher nichts, das garantier ich dir.«
»Ich wünschte, du hättest eine Familie.«
Das sagte er oft, und normalerweise hätte ich ihn mit einem Witz oder einem erbitterten Seufzer abgefertigt, je nach meiner momentanen Verfassung, aber unter diesen Umständen schien mir etwas mehr Ehrlichkeit angebracht. »Ich auch«, sagte ich.
»Es könnte immer noch klappen, weißt du? Schau dir Charlie Chaplin an.«
»So weit zurück braucht man gar nicht zu gehen.« Warum verweist jeder über fünfzig in solchen Fällen auf Charlie Chaplin? Jeden Tag liest man von einem anderen durchgeknallten Schauspieler in der Zeitung, der behauptet, mit siebzig Vater zu werden mache unheimlich Spaß, und jeder Tag sei ein Geschenk. Manchmal frage ich mich, wie lange die späten Väter diese Illusion aufrechterhalten können, bevor sie in Raserei und klinische Erschöpfung verfallen.
»Natürlich…« Er zögerte. »Für … wie heißt sie gleich?«
»Bridget.«
»Bridget. Vermutlich ist es für sie ein bisschen spät.«
Das war für Bridget mit ihren zweiundfünfzig Jahren fast ein Kompliment. Ich nickte. »Aber das heißt nicht unbedingt …« Ich verstummte meinerseits. Was ich sagen wollte, war meinem Vater genauso klar wie mir; er wurde gleich viel fröhlicher, was mich ein wenig ärgerte. Ich hatte immer gewusst, dass Bridget nicht sein Typ war, aber er war ihr stets mit vollendeter Höflichkeit begegnet, und
sie hatte ein richtiges Faible für ihn entwickelt. Dass er die ganze Zeit heimlich gehofft hatte, sie würde wieder von der Bildfläche verschwinden, kam mir unfair vor.
»Sieh mal einer an! Ein stilles Wasser!« Er goss sich aus der Silberkanne eine weitere Tasse der lauwarmen, kaffeeartigen Brühe ein, die uns erquicken sollte. »Kenne ich sie?«
»Ich habe niemand Bestimmten im Auge.« Ich schüttelte energisch den Kopf.
»Was ist denn eigentlich los?«
Sowohl diese Frage als auch sein ungewöhnlich warmherziger Ton trafen mich völlig unvorbereitet. »Was meinst du damit?«
»Du bist schon seit deiner Ankunft so komisch.« Das zielte über meine Beziehung zu Ms. FitzGerald weit hinaus. Und es verschlug mir die Sprache, denn mein Vater war kein Mensch, der viel in sich oder andere hineinhorcht. In meiner Kindheit schnitt er jedes Tischgespräch, das interessant zu werden drohte, auf typisch englische Art ab: »Jetzt wollen wir mal nicht zu psychologisch werden.« Nicht, dass er das Seelenleben anderer Menschen als bedeutungslos abgetan hätte, aber er wollte einfach nichts damit zu tun haben. Klatsch langweilte ihn. Er erinnerte sich an Personen oder Ereignisse nie gut genug, um die Pointen auszukosten, und konnte recht unwirsch werden, wenn ihm
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