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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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tritt hier ein bestimmtes Muster in Kraft. Man erwirbt ein kleines Vermögen. Zur Feier wird ein Schloss gekauft. Es wird restauriert; dann schmeißt der neue Schlossherr acht bis zehn Jahre lang eine aufwendige Party nach der anderen. Anschließend muss er verkaufen, erschöpft von seinem chronischen Geldmangel und der ständigen Anstrengung , sich über Wasser zu halten. Der alte Adel der Grafschaft lächelt dazu, jene Familien, deren Vermögen nie zusammenbrach, deren Häuser und Hochmut auf Granit gebaut sind. Manchmal mischt sich Bedauern unter das Lächeln, aber man geht zum nächsten Kandidaten über. Tarquin Montagu war nun etwa seit sechs Jahren im Rennen.
    Wenn ich heute aus einigem Abstand an ihn denke, bringe ich doch etwas mehr Mitleid auf als damals. Als wir ihn besuchten, muss ihn die Sorge gequält haben, dass sein ganzes Selbstauf wertungsabenteuer verpuffen würde, aber sein Charakter verbot ihm, seine Ängste einzugestehen oder auch nur anzudeuten. Das hätte er als Schwäche und Kontrollverlust empfunden; er war absolut unfähig, das Ruder einmal ein wenig aus der Hand zu geben. Einen so kontrollsüchtigen Menschen habe ich noch nie erlebt. Weder vermochte er seine Gäste zu amüsieren, noch sich von ihnen amüsieren zu lassen; auch war er einsam und verzweifelt, denn er konnte niemandem, am wenigsten seiner Frau gegenüber zugeben, dass ihm die Dinge entglitten. Ich hatte ihn bereits als schwierigen, übellaunigen Menschen kennengelernt, der einem Gespräch, das sich nicht um ihn drehte, nur schwer folgen und schon gar nichts dazu beizutragen konnte. Aber das ganze Ausmaß seiner Manie erfasste ich erst an jenem sommerlichen Freitagnachmittag. Müde von der langen Fahrt kamen wir an und wollten wie jeder normale Mensch nichts weiter als unser Zimmer gezeigt
bekommen, damit wir baden, uns etwas ausruhen, umkleiden und dann als mustergültige Gäste erfrischt nach unten kommen könnten, bereit, alles zu essen und alle Gesprächsthemen aufzugreifen, die unsere Gastgeber uns vorsetzen würden.
    Es war uns nicht gegönnt. Erst mussten wir uns hinsetzen und die Geschichte des Hauses anhören, und als Jennifer andeutete, ausgeruht hätten wir vielleicht mehr Lust auf eine solche Lektion, antwortete Tarquin, er hielte uns noch nicht für reif, die für uns vorbereiteten Zimmer zu sehen. »Du kannst mich mal«, hätte ich am liebsten gesagt; mich überkam der übermächtige Wunsch, augenblicklich ins Auto zu steigen und nach London zurückzufahren. Aber Jennifers müdes, bekümmertes Gesicht verriet, dass das schon manch anderer Gast getan hatte, und so ließ ich mich aus Mitleid mit ihr und zu Bridgets Erleichterung in die Bibliothek führen, um mich wie ein braver Junge belehren zu lassen.
    »Ihr müsst eines bedenken«, setzte Tarquin zu seiner langatmigen Rede an, »als Sir Richard 1824 den Neubau des Familiensitzes beschloss, wollte er sowohl mit der Mode gehen als auch die Historizität bewahren, die er seinem uralten Geschlecht schuldig war.« Er holte tief Luft und sah uns an, als erwartete er eine Rückmeldung, aber ich tappte völlig im Dunkeln, was er hören wollte.
    »Deshalb hat er sich also für den gotischen Stil entschieden?«, warf ich schließlich ein. Ich fragte mich, ob wir jemals eine Erfrischung angeboten bekämen. Bei meiner Ankunft hatte ich mich nach einer Tasse Tee gesehnt, aber nach zwanzig Minuten Schulmeisterei war mir nach einem Whisky, pur und am besten im Halbliterglas.
    Tarquin schüttelte den Kopf. »Nein. Nicht ganz.« Schon sein selbstgefälliger Ton reizte mich dermaßen, dass ich am liebsten den nächsten Stuhl gepackt und auf seinem Kopf zertrümmert hätte. »Deshalb hat er als Architekten Sir Charles Barry gewählt. Barry war damals noch jung. Das alte Parlament war noch nicht abgebrannt. Er hatte sich mit Kirchenbauten und der Restaurierung alter Baudenkmäler einen Namen gemacht, nicht als Architekt von Landsitzen. Einen Gottesdiener zu verpflichten verlieh dem Projekt eine Würde, die den Nachbarn Respekt abnötigte.«

    »Deshalb also der gotische Stil«, schlug ich wieder vor. Ich gab nicht so leicht auf und langweilte mich dermaßen, dass ich richtig schlechte Laune bekam. Aber noch mehr konnte ich Tarquin nicht provozieren, wenn ich weiter vorgeben wollte, ehrfürchtig zu lauschen. Mit anderen Worten, ich heuchelte, was das Zeug hielt.
    »Nein!« Diesmal hatte Tarquins Stimme eine gewisse Schärfe. »Der Baustil ist überhaupt kein Thema! Der ist gar nicht

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