Eine Klasse für sich
damit aus dem Staub machen. Und er sagte klipp und klar, dass er nicht das Geringste dagegen hatte. Einige Monate später sollte ich erfahren, dass er bei meinem Besuch viel kränker war, als er durchblicken ließ, und der Tod bereits auf ihn lauerte. Vermutlich wollte er vorher alles Belastende zwischen uns ausräumen, aber dieser Wunsch tut seiner Güte keinen Abbruch, im Gegenteil. »Wahnsinnig nett von dir«, sagte ich.
»Ach was, Blödsinn«, sagte er kopfschüttelnd. »Willst du noch Kaffee?«
Sein instinktives Bedürfnis, diesen Moment herunterzuspielen, bewegte mich natürlich umso mehr. Wie viel zu viele andere seines Schlags war mein Vater absolut unfähig, seine Liebe, seine Gefühle auszudrücken – dafür war er einfach zu sehr Engländer. Als wir noch klein waren, hatte er uns nur äußerst widerwillig den üblichen Gutenachtkuss gegeben, und er war sichtlich erleichtert, als wir älter wurden und dieses Ritual endlich aufgegeben werden durfte. Dennoch klang in seinen Worten eine tiefe, unausgesprochene Zuneigung durch, und bei der Erinnerung steigen mir heute noch die Tränen in die Augen. »Du darfst auf keinen Fall denken, ihr hättet damals mit der Wohnung einen Fehler gemacht«, sagte ich. »Sie war für mich ideal, eine wunderbare Startbasis. Dafür war und bin ich unendlich dankbar.«
»Ich weiß. Aber weil sie damals das Richtige für dich war, muss das nicht immer noch so sein. Wenn du die Wohnung verkaufen willst, dann tu’s. Unbedingt.«
»Danke.«
»Und das Mädchen? Klappt es nicht?«
Bridget wäre außer sich vor Freude gewesen, dachte ich leicht hämisch, hätte sie gehört, wie mein Vater sie – politisch nicht ganz korrekt – als »Mädchen« bezeichnete. Sie sah sehr gut aus und besaß eine Art unvergänglicher Schönheit; ein Küken war sie freilich längst nicht mehr, aber auch noch kein Suppenhuhn. Ich wusste nicht recht, was ich darauf antworten sollte. »So kann man es eigentlich nicht ausdrücken. Es klappt so gut oder so schlecht wie immer.«
»Aber?«
»Meine Nachforschungen haben mich wieder daran erinnert, wie es sich anfühlt, verliebt zu sein. Das hatte ich schon ganz vergessen.«
»Du erinnerst dich, wie es sich anfühlt, jung und verliebt zu sein. Vergiss das nicht. Liebe mit sechzig ist nicht ganz dasselbe. Was immer sentimentale Hollywood-Filme uns vorflunkern.«
»Vielleicht nicht. Aber ziemlich sicher ist es mehr, als ich jetzt habe.«
»Dann musst du natürlich weitersuchen.« Er nickte langsam. »Sag mal, hast du noch Kontakt zu Serena Gresham?«
Die Frage kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel und verschlug mir fast den Atem. Auf seine alten Tage war mein Vater für etliche Überraschungen gut! Konnte er sich wirklich an Serena erinnern? Woher wusste er, was ich für sie empfand? Hatte er sich einer Persönlichkeitstransplantation unterzogen? Seit mindestens dreißig Jahren war ihr Name nicht mehr zwischen uns gefallen. Auch hätte ich ihm nie zugetraut, dass er sich für mein Leben genügend interessierte, um meinen Liebeskummer zu bemerken. »Nein. Oder kaum. Manchmal. Bei dem einen oder anderen Anlass in London. Eher nicht.«
»Sie ist verheiratet, oder?«
»Ja.«
»Und läuft die Ehe gut?«
»Ich weiß zu wenig von Serena, um mir ein Urteil erlauben zu können. Sie hat zwei erwachsene Kinder und lebt immer noch mit ihrem Mann zusammen.«
Er ließ sich meine halbherzige Antwort kurz durch den Kopf gehen. »Ich glaube nicht, dass du mit ihr glücklich geworden wärst.«
So etwas lässt man sich in keinem Alter gern von seinen Eltern sagen, aber so kurz nach der freundlichsten Geste seines Lebens wollte ich nicht Kontra geben. »Ich hätte lieber die Chance gehabt, das selbst herauszufinden«, war alles, was ich darauf erwiderte.
»Du hättest nie Schriftsteller werden können, sondern einen Job in der City annehmen müssen. Um das nötige Geld für den Unterhalt einer solchen Frau zu verdienen.«
»Nicht unbedingt.«
Er schnaubte nur. Es machte mich immer wütend, wenn sich mein Vater überlegenes Wissen anmaßte. Vor allem ein Wissen über Menschen, die mir einmal sehr nahestanden, ihm aber kaum bekannt waren. Doch ich wollte nicht streiten. »Viele leben heute ganz anders, als sie aufgewachsen sind. Du zum Beispiel.«
»Vielleicht. Aber meine Generation hatte keine Wahl, und glaub mir, alte Gewohnheiten legt man nur schwer ab. Das sollte ich am besten wissen.« Er sah, dass ich mich zusammenreißen musste, um
Serena nicht vehement zu
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