Eine Koelner Karriere
Rheinschiffahrt, an die Ankerkette gelegt, damit die Touristen auf den Vergnügungsdampfern nicht erschreckt wurden. Rostbraune Gleise, die nie wieder von einem Zug befahren werden würden, und ein riesiger grüner Verladekran, der wie das eiserne Denkmal der Tatenlosigkeit am Ufer emporragte, trennten Werk- und Lagerhallen vom Wasser. Einige der Gebäude wurden noch genutzt, obwohl sich zu dieser frühen Morgenstunde noch kein Arbeiter in sie verirrt hatte, doch die meisten standen leer.
Markesch trottete die Gleise entlang zur Fußgängerbrücke, die im kühnen Schwung das Hafenbecken überspannte, und bog dann in die Hafenstraße, einem öden Asphaltband, gesäumt von Ziegelsteingebäuden mit zugemauerten Fenstern, die wie blinde Augen auf ihn herabstarrten. Er hatte das Gefühl, statt einer Nase eine glühende Bowlingkugel im Gesicht zu tragen, und als er die Deutz-Mülheimer-Straße erreichte und nach langen Minuten des Wartens ein Taxi im dichten Berufsverkehr erspähte, hatte sich die Bowlingkugel in einen tonnenschweren, stetig pulsierenden Hochofen verwandelt. Das Tekkno-Dröhnen in seinem Schädel und der eigenartig ziehende Schmerz in seinem rechten Ohr bereiteten ihm zusätzliche Pein, und das einzige, was ihn noch aufrechterhielt, war der Gedanke an blutige Rache.
»Mann, Sie sehen aber gar nicht gut aus«, stellte der Taxifahrer hellsichtig fest, ein bebrillter Intellektuellentyp mit flusigem Oberlippenbärtchen, wuscheligen Haaren und einem E=mc 2 -T-Shirt, der wie eine Disneyland-Ausgabe des jungen Einstein aussah. »Soll ich Sie ins Krankenhaus fahren?«
»Besser gleich zum Südfriedhof«, knurrte Markesch. »Mit dieser Nase nimmt mich sowieso kein Krankenhaus auf.«
»Sie sind der Boß«, meinte Einstein Junior und gab Gas.
»Aber vorher muß ich zu Hause vorbei, die Wohnung kündigen, das Testament machen und den Preßspansarg abholen, den ich zu meinem letzten Geburtstag bekommen habe.«
»Und wo wohnen Sie?«
»Im Café Regenbogen in Sülz.« Er schloß die Augen. »Beeilen Sie sich. Wenn ich sterbe, bevor wir ankommen, streiche ich Ihnen das Trinkgeld.«
Die Drohung wirkte; der Motor röhrte auf, als wollte er beweisen, daß er eigentlich in einen Formel-1-Rennwagen gehörte, und Markesch wurde tief in das Polster des Sitzes gedrückt. Nach der Beschleunigung zu urteilen, mußten sie entweder jeden Moment abheben oder mit Mach 1 in den nächstbesten Verkehrsteilnehmer donnern, aber er machte sich nicht die Mühe, die Augen zu öffnen. Ein schneller Unfalltod konnte seine Lage nur verbessern.
Er verdöste die kurze Höllenfahrt und versuchte, sich mit dem Gedanken zu trösten, daß er mit seinen Ermittlungen zumindest einen kleinen Schritt weitergekommen war. Astrid Pankrath hatte Trucker also vor zwei Monaten den Geldhahn zugedreht und war rechtzeitig vor seiner Entlassung untergetaucht. Offenbar hatte sie aus dem Liebesgewerbe aussteigen und ein neues Leben ohne ihren gewalttätigen Zuhälter beginnen wollen, und dafür brauchte sie Geld. Deshalb das Erpressungsmanöver.
Die Frage war nur, ob ihr jemand beim Aufstellen der Fotofalle geholfen hatte, und wenn ja, wer? Ein neuer Liebhaber?
Gut möglich, dachte er. Immerhin ist Frühling.
In Sülz angekommen, bezahlte er Einstein Junior mit einem von Truckers Hunderten, lehnte die Herausgabe des Wechselgeldes unter Hinweis auf sein baldiges Dahinscheiden ab und schleppte sich am Café Regenbogen vorbei zu seiner Wohnung. So, wie er sich jetzt fühlte, war er einer Konfrontation mit Sophie nicht gewachsen; mit ein wenig Pech würde es ihr gelingen, ihn zu einer Wallfahrt zum nächsten Krematorium zu überreden, und Gott allein wußte, was dann aus ihm werden würde.
Als er seine Wohnungstür aufschloß und in die verwinkelte Mansarde stolperte, war er so erschöpft, als hätte er an einem Ironman-Marathon teilgenommen. Er schluckte eine Zehnerpackung Aspirin, spülte sie mit einem dreifachen Scotch hinunter und holte aus dem Seitenfach seines Schreibtischs das Erste-Hilfe-Kissen hervor. Er zog den Reißverschluß auf, griff hinein und legte die Finger um den kühlen, vertrauenseinflößenden Knauf der .357er Magnum.
Sofort ging es ihm besser.
Kaltes Eisen, dachte er, bannt jeden Schmerz.
Zumindest vorübergehend.
Denn kaum wagte er ein Grinsen, gab ihm seine malträtierte Nase zu verstehen, daß Heiterkeit nicht die richtige Reaktion auf Folter und K.O.-Tropfen war. Verwünschungen vor sich hin murmelnd, füllte er ein Whiskyglas
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