Eine Koelner Karriere
Privatschnüffler, der Zeuge eines Kapitalverbrechens wurde und sich der Aufklärung des Tathergangs durch spontane Flucht entzog. So etwas konnte zu häßlichen Mißverständnissen führen – im schlimmsten Fall zu einem vorläufigen Umzug in den Klingelpütz, die Ossendorfer JVA.
Er öffnete eine neue Flasche Scotch und spülte die Bedenken mit einem kräftigen Schluck hinunter.
Die Lage war zu ernst, um sie mit zusätzlichen Bedenken zu belasten. Außerdem hatte er keine andere Wahl gehabt. Eine Vernehmung durch die Polizei konnte zum jetzigen Zeitpunkt nur schaden – und das nicht allein, weil der Laderaum seines Fords voller Schnapsflaschen war und er sich indiskrete Fragen nach seinem Blutalkoholgehalt nicht leisten konnte.
Unten im Tal hatten die uniformierten Schupos inzwischen Verstärkung durch Zivilbeamte bekommen, Mordkommission und Spurensicherung, wie er vermutete. Ein Teil von ihnen verschwand im Haus, um sich sofort ans forensische Werk zu machen, während die übrigen Kress’ feudalen Daimler und den finsteren Garten unter die Lupe nahmen. Kurz darauf trugen die Sanitäter Astrid Pankraths sterbliche Überreste heraus, verstauten sie im Krankenwagen und fuhren davon, dem Leichenschauhaus und der Gerichtsmedizin entgegen.
Es dauerte nicht lange, dann tauchte auch Walter Kress auf, in Handschellen, und von zwei bulligen Kripo-Männern begleitet, geisterhaft fahl im Flackern der Blaulichter. Er ging mit gesenktem Kopf, herunterhängenden Schultern, schleppenden Schritten, ein Schatten seiner selbst in den Schatten der Nacht, besiegt, geschlagen, vernichtet, ein Mann am Ende seiner Karriere.
Als er in den Einsatzwagen steigen sollte, zögerte er einen Moment, drehte den Kopf und schien direkt zur Bergkuppe und zu Markesch hinaufzublicken, flehend vielleicht, gewiß verzweifelt, dann drängte ihn einer der Kripo-Beamten ungeduldig ins Fahrzeug. Die Türen schlugen zu, und mit heulendem Martinshorn raste der Wagen davon.
Markesch hatte genug gesehen.
Er klemmte die Scotchflasche in den Spalt zwischen den Sitzen, ließ den Motor an und machte sich auf den Rückweg nach Köln, auf die Suche nach dem wahren Mörder. »Ich habe es nicht getan«, hatte Walter Kress gesagt. »Sie war schon tot, als ich kam. Sie war tot!« Und er glaubte ihm. Nicht, weil er Kress die Bluttat nicht zutraute – Skrupel oder Moral waren Kress fremd, und er hatte gute Gründe gehabt, die Pankrath umzubringen –, sondern, weil ein Mann wie Walter Kress nicht aus Impulsen heraus handelte, sondern berechnend und überlegt. Seine ganze Karriere war ein Musterbeispiel sorgfältiger, gewissenloser, gerissener Planung, allein an Nützlichkeitserwägungen orientiert, frei von jedem Gefühl.
Ein solcher Mann mordete nicht, ohne sich zuvor gründlich abgesichert zu haben, ein solcher Mann tötete nicht im Affekt.
Außerdem gab es noch einen anderen, den wichtigsten Punkt: Wieso war die Polizei so schnell am Tatort gewesen? Wer hatte sie alarmiert? Das nächste Haus lag mindestens hundert Meter Luftlinie entfernt. Selbst wenn es zwischen Kress und der Pankrath zu einem Streit, einem Kampf gekommen war, sie um Hilfe und um ihr Leben geschrien hatte – niemand hätte sie hören und die Polizei alarmieren können. Der nahe Dorfkrug war geschlossen, und in dieser gottverlassenen Einöde, zu dieser späten Stunde, waren wohl kaum noch Spaziergänger unterwegs.
Markesch konnte sich vorstellen, was passiert war: Walter Kress war nach Lindlar gefahren, mit dreihunderttausend Mark in der Tasche, um Astrid Pankrath die belastenden Fotos abzukaufen. Er hatte die Haustür offen gefunden und das Haus betreten. Wahrscheinlich hatte er ihren Namen gerufen, doch keine Antwort bekommen, und war dem Licht ins Wohnzimmer gefolgt. Dort hatte er die Tote entdeckt. Zweifellos hatte er Angst bekommen – Angst um seinen Ruf, seine Karriere, die ruiniert sein würde, wenn er mit dem Tod einer Nutte in Verbindung gebracht wurde – und deshalb die Polizei nicht selbst alarmiert. Aber ohne die Fotos konnte er das Haus nicht verlassen; wenn sie der Kripo in die Hände fielen, mußte er sich auf unangenehme Fragen und peinliche Presseberichte gefaßt machen. Also hatte er angefangen, nach den Abzügen und Negativen zu suchen. Doch Astrid Pankraths Mörder mußte sich noch im Haus befunden, höchstwahrscheinlich sogar auf ihn gewartet haben. Er hatte Kress von hinten niedergeschlagen, ihm das Messer in die Hand gedrückt, die kompromittierenden Fotos
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