Eine Krone für Alexander (German Edition)
einer höheren Gerechtigkeit.
Nicht lange danach erschien in Mieza ganz überraschend Philipps
alter Freund Demaratos. Er hatte damit gerechnet, den König in Pella anzutreffen,
und war überrascht zu hören, dass dieser noch in Thrakien war. So gönnte er
sich, ehe er dorthin weiterreiste, ein gepflegtes Schwätzchen mit Antipatros
und machte auch einen Abstecher nach Mieza. Antigenes ließ sich erweichen und
erlaubte Alexander, sein Training zu unterbrechen und sich mit seinem Gast im
Speisesaal zu unterhalten, „aber nur, damit der alte Mann den Weg nach Mieza
nicht umsonst gemacht hat, und das bei diesem Wetter!“.
Demaratos sah sich in der Baracke um. „Ganz schön trostlos
hier.“
Alexander zuckte mit den Achseln und setzte eine
soldatisch-abgehärtete Miene auf. „Auch nicht schlimmer als im Feld.“
Demaratos verstand den Wink und gab Alexander Gelegenheit,
zum hundertsten Mal alle Einzelheiten seines Feldzugs gegen die Maider zu erzählen.
Als das Thema schließlich bis zum Letzten ausgelutscht war, kamen sie auf die
Neuigkeiten zu sprechen, derentwegen Demaratos eigentlich nach Pella gekommen
war: In Mittelgriechenland stand ein neuer Heiliger Krieg bevor. Begonnen hatte
alles damit, dass die Bürger der Stadt Amphissa, nicht weit von Delphi,
versucht hatten, die Athener im Rat der Amphiktyonie wegen eines Tempelfrevels
zu verklagen.
„Ursprünglich ging es um zwei vergoldete Schilde, die die
Athener dem Tempel des Apollon gestiftet hatten“, erläuterte Demaratos. „Das
Ganze ist schon ein paar Jahre her. Damals saßen noch die Phoker in Delphi, und
durch ihr Treiben war das Heiligtum entweiht worden. Nun fiel den Amphissern
plötzlich ein, dass es ein Frevel von den Athenern war, die Schilde im Tempel
aufzuhängen, bevor dieser neu geweiht worden war.“
„Mich würde interessieren, wie sie auf diesen Einfall gekommen
sind“, sagte Alexander grinsend.
„Das war natürlich eine Idee deines Vaters – Amphissa ist
seit vielen Jahren mit ihm verbündet. Der Sinn des Ganzen war, Zwietracht
zwischen den Athenern und den Thebanern zu säen. Die besagten Schilde gehörten
nämlich zu einer älteren Weihegabe, aus der Zeit der Perserkriege. Sie trugen
noch die ursprüngliche Weihinschrift.“
„Und?“, fragte Alexander mit einer gewissen Vorfreude.
„Auf den Schilden steht groß und deutlich: Erbeutet von den Medern und den Thebanern, als sie gegen die
Griechen kämpften.“
Alexander und sein Gast brachen in amüsiertes Gelächter aus.
Die Thebaner hassten es, an ihre Kollaboration mit den Persern erinnert zu
werden. Genau deshalb ritten die Athener immer wieder gern auf dem Thema herum,
ein weiterer ein Grund für die chronische Feindschaft zwischen den beiden
Nachbarstädten.
Schließlich fuhr Demaratos fort: „Philipp meinte, es könne
nicht schaden, die Aufmerksamkeit auf die antithebanische Tendenz der frommen
Gabe zu lenken. Vielleicht hoffte er sogar, dass die Amphiktyonen deswegen den
Athenern einen Heiligen Krieg erklären.“
„Hört sich nach einem guten Plan an.“
„Leider hat er nicht funktioniert“, meinte Demaratos bedauernd.
„Noch bevor die Amphisser ihre Klage einreichen konnten, kamen ihnen die
Athener durch eine Gegenklage zuvor. Diesmal ging es um ein Stück Land, das die
Amphisser bewirtschaftet hatten, obwohl es angeblich dem Tempel geweiht war.“
„Dahinter steckt sicher wieder Demosthenes.“
„Diesmal nicht. Die Sache wurde von Aischines eingefädelt.“
„Aber Aischines ist doch ein Parteigänger von uns?“
„Ich weiß auch nicht, was er sich dabei gedacht hat.
Jedenfalls schlug er im Synhedrion einen mordsmäßigen Krach. Er zog mit den
Delegierten los und schleppte sie in eigener Person über den fraglichen Acker.
Die Amphisser machten den Fehler, ihn davonzujagen, und die Ratsherren gleich
mit. Das Synhedrion war entsprechend empört, und jetzt hat die Amphiktyonie
einen Heiligen Krieg gegen Amphissa ausgerufen.“
„Gegen Amphissa?“ Alexander kratzte sich verblüfft am Kopf.
„Das dürfte nicht das sein, was meinem Vater vorgeschwebt hat, aber wie ich ihn
kenne, wird er dieser Wendung etwas Gutes abgewinnen.“
„Das denke ich auch. Deshalb reise ich gleich morgen weiter
nach Thrakien, trotz des schlechten Wetters und der schlammigen Straßen. Ich
bin gespannt, was Philipp zu der Entwicklung sagt.“
20
Zum Ende des Winters brachte Kynnana ihr Kind zur Welt, ein
Mädchen, das den Namen Hadeia erhielt. Amyntas gab zur Feier des
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