Eine Krone für Alexander (German Edition)
erst drei Jahre alt, und ein Regent hat nicht die
gleiche Autorität wie ein König. Also beschlossen die Krieger in der Heeresversammlung
nach einiger Zeit, dass ich an Amyntas’ Stelle König sein sollte.“
„Das dürfen die?“
„Mehr oder weniger. Die Heeresversammlung tritt immer zusammen,
wenn ein König stirbt. Meistens wird sein ältester Sohn zum Nachfolger gewählt,
jedenfalls wenn er erwachsen ist und stark genug, um seine Ansprüche zu
vertreten. Probleme gibt es nur, wenn der Erbe noch ein Kind ist, oder wenn es
mehrere Söhne gibt, die sich gegenseitig das Erbe streitig machen. Dann kommt
es darauf an, wer sich in der Heeresversammlung durchsetzt.“
Alexander runzelte die Stirn. „Könnte es sein, dass die Heeresversammlung
Amyntas später einmal wieder zum König wählt?“
Der König legte den Kopf in den Nacken und lachte dröhnend.
„Du bist mir der Richtige! Machst dir jetzt schon Gedanken, ob Amyntas dir
vielleicht einmal den Thron wegschnappen könnte! Aber ich sage dir etwas:
Erstens habe ich nicht vor, so bald zu sterben. Und zweitens: Wenn ich einmal
abtrete, dann will ich wie jeder Mann, dass mein Sohn mein Nachfolger wird.
Sieh her!“
Philipp zog seinen Ring vom Finger und reichte ihn Alexander,
der ihn nahm und interessiert musterte. Löwenpranken hielten einen roten Stein,
in den etwas eingraviert war. Der Rachen eines Löwen, weit aufgerissen, mit
dolchartigen Fängen und furchterregend starrenden Augen. Davon umfasst das
Gesicht eines jungen, bartlosen Mannes. Alexander erkannte es sofort: Herakles
mit der Löwenfellhaube. Der Ahnherr seiner Familie, wie er ihn schon auf
unzähligen Münzen gesehen hatte – nur dass die Gravur hier nicht erhaben war,
sondern in den Stein eingetieft.
„Dies ist der Siegelring der makedonischen Könige“, erläuterte
Philipp. „Seit Generationen wurde er von einem König auf den anderen vererbt,
fast immer vom Vater auf den Sohn.“
Ein altertümliches Stück, erkannte Alexander, schwer und aus
massivem Gold gefertigt. Der Stein mit der Gravur war von einem tiefen Rot,
fast wie Blut, und schien auf geheimnisvolle Weise von innen heraus zu glühen. Oder
bildete er sich das ein? Der Ring übte eine seltsame Faszination auf ihn aus.
„Eines Tages wird er vielleicht dir gehören.“ Philipps
Stimme schien von weither zu ihm zu dringen. „Aber du musst um ihn kämpfen.
Sieh mich an, Alexander!“
Nur mit Mühe konnte Alexander seinen Blick von dem Ring
losreißen. Er hob den Kopf.
„Du musst kämpfen, um ihn zu bekommen. Und vielleicht noch
mehr, um ihn zu behalten.“
Philipp streckte die Hand aus. Alexander empfand einen
unterschwelligen Widerwillen, als er den Ring hineinlegte.
„Gibt es sonst noch etwas, was du wissen willst?“, fragte Philipp.
Alexander versuchte sich zu konzentrieren. Er ahnte, dass er
so bald keine Gelegenheit mehr zum Fragen erhalten würde. Ihm fielen die beiden
Brüder seines Vaters ein, von deren Existenz er erst kürzlich erfahren hatte.
Ihretwegen hatte der König Krieg gegen Olynthos geführt. Theopompos hatte zwar
behauptet, dass das nur ein Vorwand war, doch nach dem, was er eben gehört
hatte, war Alexander nicht mehr so sicher. „Wie war das mit Menelaos und
Arrhidaios? Waren das auch Prätendenten?“
„Ja“, erwiderte Philipp kurz angebunden.
Um ihn zum Weiterreden zu bewegen, fügte Alexander hinzu:
„Ich wusste bisher gar nicht, dass du noch zwei Brüder hast.“
„Sie waren nur meine Halbbrüder.“
„Warum wolltest du, dass die Olynthier sie an dich ausliefern?“
„Sie waren gefährlich. Sie hätten jederzeit Anspruch auf den
Thron erheben können, und die Olynthier, die Athener oder sonst wer hätten sie
womöglich unterstützt. Dann hätte es wieder Machtkämpfe in Makedonien gegeben,
so wie früher.“
Vorsichtig fragte Alexander: „Als du Olynthos erobert hast,
was ist da aus deinen Halbbrüdern geworden?“
Philipps Gesicht verlor jeden Ausdruck. „Darüber reden wir,
wenn du älter bist.“
9
Das Land, durch das sie ritten, war von kahlen, schmutzig
braunen Feldern geprägt. Das sumpfige Schwemmland am See hatte sich den Winter
über in einen Morast verwandelt. Auf den schlammigen Straßen kam der Wagenzug
nur langsam voran, doch am zweiten Tag konnte Alexander in der Ferne Berge erkennen,
deren bewaldete Kuppen sich aus der Ebene erhoben. An ihrem Fuß lag Aigai, die
alte Königsstadt.
Der Palast stand auf einer Terrasse oberhalb davon. Gleich
nach ihrer Ankunft
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