Eine Krone für Alexander (German Edition)
bist einer von ihnen, auch du kommst zu Neujahr nach Persepolis!“
Artabazos beugte sich vor. Seine Augen leuchteten, seine
Stimme war tief und melodisch, sein Bericht faszinierend wie der eines
Märchenerzählers auf dem Markt.
„Die Sonne geht unter, und du reitest auf Persepolis zu.
Schon von Weitem siehst du den Palast auf seiner Terrasse hoch über der Ebene.
Du steigst die Treppen zu ihr empor, so breit, dass zehn Reiter nebeneinander
Platz finden würden. Und dann schreitest du durch das Tor aller Länder,
hindurch zwischen den beiden geflügelten Stieren. Inzwischen ist es dunkel
geworden, doch der Palast ist hell erleuchtet, denn auf allen Treppen und
Terrassen stehen die Unsterblichen, die Leibgarde des Großkönigs, mit Fackeln
in den Händen. In feierlicher Prozession überqueren die Gesandten den Hof. Du
steigst die Freitreppe zum Apadana empor. Die Türen öffnen sich.“
Vor seinem inneren Auge sah Alexander, wie die hohen Türflügel
sich teilten und den Blick ins Innere des Thronsaales freigaben. Er schritt
durch den Wald von Säulen, über ihm glänzten die vergoldeten Hörner der Stierkapitelle.
Das Gebälk und die Decke, die Säulen, der Fußboden – alles leuchtete in den
Farben des Regenbogens oder glänzte vor Gold.
„In der Mitte des Apadana sitzt der Großkönig auf seinem
Thron, in der einen Hand sein Zepter, in der anderen eine Lotosblüte. Seine
Füße ruhen auf einer Fußbank, denn sie dürfen nicht den Boden berühren wie die
gewöhnlicher Sterblicher. Vor dem Thron lodert auf Bronzeständern das Heilige
Feuer. Wenn die Untertanen des Großkönigs vor seinen Thron treten, verbeugen
sie sich ehrfürchtig. Missetäter, Bittsteller und Menschen von niedrigem Rang
werfen sich dagegen zu Boden.“
Alexander kam das ziemlich übertrieben vor bei einem Menschen,
auch wenn er ein König war.
„Aber der Großkönig ist nicht einfach nur ein König! Er ist
der König der Könige, Herr aller Länder, geliebt von Ahura Mazda! Er steht weit
über allen Sterblichen.“
Alexander stellte eine nahe liegende Frage. „Wenn der Großkönig
so großartig ist, wie du sagst, warum hast du dich dann gegen ihn aufgelehnt?“
Artabazos lachte und strich sich über seinen sorgfältig
gelockten Bart. „Sagen wir, der Großkönig und ich hatten einige
Meinungsverschiedenheiten.“
Damit ließ Alexander sich nicht abspeisen. Schließlich gab
Artabazos nach.
„Gut, ich erkläre es dir. Der Vater des jetzigen Großkönigs,
der alte Artaxerxes Mnemon, hat siebenundsechzig Jahre regiert, doch er war
kein großer Herrscher. Ägypten fiel ab vom Reich, viele Völker und sogar Satrapen
empörten sich. Doch ich blieb dem Großkönig treu ergeben und bekämpfte die
Aufständischen, denn ich fand, dass auch ein schlechter Großkönig noch immer
der Großkönig ist. Doch dann kamen seine drei ältesten Söhne unter verdächtigen
Umständen ums Leben. Es hieß, dass ihr jüngerer Bruder Ochos dahintersteckte.
Schließlich starb auch der Großkönig selbst, angeblich durch Gift, und Ochos
bestieg den Thron.“
Artabazos’ Hand spannte sich um den verzierten Griff des
Dolches, der an einer goldenen Kette an seinem Gürtel hing. „Sollte ich Ochos,
den Mörder seiner Brüder – vielleicht sogar seines Vaters! – als rechtmäßigen
König anerkennen? Niemals! Das war der Grund, warum ich mich gegen seine
Herrschaft auflehnte.“ Er ließ den Griff wieder los und lächelte resigniert.
„Aber wie du siehst, war ich dabei nicht eben erfolgreich.“
11
Im Frühjahr traf in Pella eine Gesandtschaft aus Athen ein.
Nachdem der König das mit ihnen verbündete Olynthos erobert und zerstört hatte,
hatten es die Athener mit der Angst zu tun bekommen – nun wollten sie über
einen Friedensvertrag verhandeln. Allerdings waren nicht alle ihre Bürger mit
diesem Schritt einverstanden. Vor allem ein gewisser Demosthenes wurde nicht
müde, vor der „Gefahr aus dem Norden“, wie er Philipp zu nennen pflegte, zu
warnen. Er hielt flammende Reden in der Volksversammlung und appellierte an
seine Mitbürger, Philipps unersättlichem Eroberungshunger entschlossen entgegenzutreten.
Man müsse handeln, ehe es zu spät war. Doch Demosthenes und seine Anhänger
hatten sich nicht durchsetzen können.
Die Athener erschienen in Pella mit nicht weniger als zehn
Gesandten. Einer davon war Demosthenes.
Von seinem Lehrer Philiskos erfuhr Alexander, dass
Demosthenes’ Vater ein wohlhabender Waffenfabrikant gewesen war, der starb,
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