Eine Krone für Alexander (German Edition)
als
sein Sohn erst sieben Jahre alt war. „Demosthenes’ Vormünder unterschlugen sein
Erbe. Um es nach seiner Volljährigkeit vor Gericht zurückfordern zu können,
brauchte er einen guten Anwalt, doch den konnte er sich nicht leisten. Deshalb
beschloss er, selbst Anwalt zu werden. Das Problem war nur: Als Anwalt muss man
ein guter Redner sein. Demosthenes stotterte aber, er hatte eine leise Stimme
und eine undeutliche Aussprache, außerdem neigte er zur Kurzatmigkeit. Doch er
ließ sich nicht entmutigen. Er machte Sprechübungen mit Kieseln im Mund, er
kletterte auf Berge und rezitierte dabei Gedichte, um seine Kurzatmigkeit zu
bekämpfen. So gelang es ihm durch eiserne Disziplin schließlich doch noch, ein
guter Anwalt zu werden.“
„Und?“, fragte Alexander teilnahmsvoll. „Hat er es
geschafft, sein Erbe zurückbekommen?“
„Nur einen Teil, das meiste war verloren. Aber während des
Prozesses entpuppte Demosthenes sich als so brillanter Redner, dass er
beschloss, in die Politik zu gehen. Dafür muss man in Athen nämlich auch ein
guter Redner sein. Und Demosthenes ist inzwischen der beste, manche sagen
sogar, der beste Redner aller Zeiten! Nur das Improvisieren liegt ihm nicht,
dabei kommt er immer ins Schwimmen.“
Dieser Werdegang imponierte Alexander, er bewunderte die
Zielstrebigkeit, mit der Demosthenes alle Schwierigkeiten überwunden und seinen
Traum, ein großer Redner zu werden, verwirklicht hatte. Philiskos allerdings
kannte auch seine Schattenseiten.
„Demosthenes schreckt vor nichts zurück, um seine Mitbürger
gegen deinen Vater aufzuhetzen. Er tut geradezu so, als sei Philipp die größte
Gefahr seit den Perserkriegen, er stellt ihn als Wüstling hin und erfindet Skandalgeschichten.
Philipp und seine Hetairen interessieren sich angeblich nur fürs Trinken, Würfelspielen
und für … andere Ausschweifungen. Meine Freunde in Athen sagen, wenn man Demosthenes
zuhört, könnte man denken, dass in Pella alle ständig betrunken unter den
Tischen liegen.“
Philiskos gehörte zu den weltfremden Gelehrten, die sich in
ihre Bücher vergraben und von ihrer Umgebung wenig mitbekommen. Andernfalls
wäre ihm nicht entgangen, dass Demosthenes’ Ausfälle, so böswillig sie auch
sein mochten, nicht völlig aus der Luft gegriffen waren. Der Wein floss bei den
Gelagen des Königs in Strömen. Man trank ihn, anders als bei den südlichen
Griechen, unverdünnt und war entsprechend schnell betrunken. Dann sangen die
Gäste unanständige Lieder, tanzten nicht gesellschaftsfähige Tänze und brachen
zu ausgelassenen Umzügen durch den Palast auf. Oder sie machten sie sich über
Sängerinnen, Flötenspielerinnen und Tänzerinnen her, über Hetären und Lustknaben.
Am Morgen konnte man die Gestrandeten der Nacht in den Sälen und Höfen oft noch
bewusstlos liegen sehen.
Der König war entschlossen, sich den Gesandten aus Athen von
seiner allerbesten Seite zu zeigen. Er wollte beweisen, dass er keineswegs der
Wüstling war, als den Demosthenes ihn immer hinstellte. Die Symposien zu Ehren
der Gesandten sollten glanzvoll sein, aber kultiviert. Der Wein war mit Wasser
verdünnt. Tänzerinnen und Flötenmädchen waren nur zum Anschauen da. Von den
Königsjungen erfuhr Alexander, dass es sich um rechtschaffen langweilige
Veranstaltungen handelte, zumindest nach makedonischen Maßstäben. Allerdings
fragte er sich, ob die Symposien in Athen wirklich immer so furchtbar
kultiviert waren, wie alle taten.
Alkippos, sein Musiklehrer, hatte den Einfall, dass
Alexander auf einem der Symposien zur Unterhaltung der Gäste auf der Kithara
spielen und dazu Lieder vortragen sollte. Am Morgen schleppte er einen Jungen
in Alexanders Alter heran, der die Ehre haben sollte, mit ihm gemeinsam aufzutreten.
Es handelte sich um Kassandros, Antipatros’ ältesten Sohn. Er hatte Segelohren
und O-Beine, und sein Gesicht besaß Ähnlichkeit mit dem einer Ratte ohne Fell.
Alexander war klar, dass der Junge nichts für sein Aussehen konnte. Trotzdem
fand er Kassandros auf Anhieb unsympathisch, und das beruhte durchaus auf
Gegenseitigkeit. Denn den Rest des Tages mussten die beiden Nachwuchskünstler
mit Alkippos verschiedene Stücke einstudieren, und dabei warf Kassandros
Alexander so bitterböse Blicke zu, als sei dieser schuld an seiner Lage und
nicht vielmehr selbst ein Opfer von Alkippos’ Ehrgeiz.
Am Abend führte der Lehrer seine beiden Schützlinge in den
großen, von Fackeln und Lampen hell erleuchteten Saal. An den Wänden
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