Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
der sie umsorgte. Praktische Gründe spielten eine ebenso große Rolle wie emotionale. In einem Dorf, das Laslett untersuchte, gab es 1688 zweiundsiebzig verheiratete Männer, von denen dreizehn zum zweiten Mal, drei zum dritten Mal, drei zum vierten Mal und einer zum fünften Mal den Bund der Ehe geschlossen hatten, alle, weil sie verwitwet waren. Insgesamt waren ein Viertel aller Ehen nicht die ersten, weil ein Partner verstorben war, und diese Proportionen blieben bis ins frühe zwanzigste Jahrhundert hinein unverändert.
Da so viele Menschen starben, gehörte das Trauern unweigerlich zum Leben. Weltmeister im Trauern waren natürlich die Viktorianer. Nie hat ein Volk den Tod so morbide geliebt oder derart komplizierte Arten und Weisen ersonnen, ihn zu feiern. Die Obertrauernde war Victoria. Als ihr geliebter Prinz Albert im Dezember 1861 verschieden war, wurden die Uhren in seinem Schlafzimmer zur Minute seines Ablebens angehalten, um 22 Uhr 50, doch auf Anweisung der Königin sein Zimmer weiter so in Ordnung gehalten, als sei er nur zeitweilig nicht da und nicht für immer in einem Mausoleum im Park von Windsor Castle bestattet. Jeden Tag legte ein Kammerdiener Kleidung für ihn hin, und zu den entsprechenden Zeiten wurden Seife, Handtücher und heißes Wasser ins Zimmer gebracht und dann wieder weggetragen.
In allen Gesellschaftsschichten waren die Regeln des Trauerns streng und umfassend bis zum Gehtnichtmehr. Wenn der teure Verstorbene ein angeheirateter Onkel war und seine Frau ihn überlebte, musste man zwei Monate um ihn trauern; wenn er unverheiratet oder verwitwet gewesen war, nur einen. Und so weiter bei den verschiedensten verwandtschaftlichen Verhältnissen. Man brauchte die Leute, um die man trauern musste, nicht einmal zu kennen. War der Gatte (wie so viele) zuvor schon einmal verheiratet gewesen und verwitwet — und ein enger Verwandter seiner (verstorbenen) ersten Frau segnete das Zeitliche, musste man als zweite Gattin eine »Ersatztrauerzeit« einlegen — also die verstorbene frühere Partnerin trauermäßig vertreten.
Wie lang und auf welche Weise genau Trauerkleidung getragen werden musste, war gleichermaßen akribisch je nach Grad des Verlustes festgelegt. Witwen, die schon in pfundweise erstickendes, feines schwarzes Tuch gewickelt waren, mussten sich zusätzlich noch in schwarzen Krepp hüllen, einen Stoff mit krauser Oberfläche. Krepp kratzte, knisterte ständig und war irrsinnig schwer zu pflegen. Regentropfen hinterließen weißliche Flecken, und umgekehrt färbte Krepp auf den Stoff oder die Haut darunter ab; er ruinierte den Stoff, und die Farbe war fast nicht von der Haut abzuwaschen. Wie viel Krepp getragen werden musste, wurde von Dauer und Verlauf der Trauerzeit streng diktiert; wie viel Krepp eine Frau an den Ärmeln hatte, signalisierte immer sofort, wie lange sie schon verwitwet war. Nach zwei Jahren begann für die Witwe die Phase der sogenannten Halbtrauer, in der sie allmählich, aber nicht zu jäh, auch wieder Grau oder ein blasses Lavendel tragen durfte.
Auch Diener mussten trauern, wenn ihre Herren starben, und wenn ein Monarch oder eine Monarchin dahinschied, wurde selbstverständlich nationale Trauer anberaumt. Als Königin Victoria 1901 entschlief, herrschte ringsum viel Verwirrung, denn seit dem letzten Heimgang eines Monarchen waren mehr als sechzig Jahre vergangen, und man konnte sich nicht einigen, wie man um solch eine langgediente Königin in dem neu angebrochenen Zeitalter trauern sollte.
Als hätten den Viktorianern diese Sorgen noch nicht gereicht, entwickelten sie ein paar eigentümliche Ängste, was das Sterben und den Tod betraf. Überall verbreitete sich die Furcht, lebendig begraben zu werden — eine Furcht, die Edgar Allen Poe 1844 in seiner Erzählung »Vorzeitiges Begräbnis« wirkungsvoll verarbeitete. Die gefürchtetste Krankheit der Zeit wurde Katalepsie, eine Gliederstarre, bei der Betroffene tot zu sein schienen, in Wirklichkeit aber voll bei Bewusstsein waren. Zeitungen und volkstümliche Zeitschriften wimmelten von Geschichten, in denen das passiert war. Ein bekannter Fall war der von Eleanor Markham aus dem Bundesstaat NewYork, die man im Juli 1894 gerade beerdigen wollte, als man ängstliche Töne aus dem Sarg vernahm. Der Deckel wurde gehoben, und Miss Markham schrie: »Mein Gott, Sie begraben mich ja lebendig!«
»Ich war die ganze Zeit, in der Sie die Vorbereitungen zu meiner Beerdigung trafen, bei Bewusstsein. Das Entsetzen meiner
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