Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
Harnwegsverstopfung zu beseitigen.
Als man seit den 1840ern allmählich Narkosemittel bei Operationen verwendete, wurden die Qualen ärztlicher Behandlung oft weniger beseitigt als vielmehr verschoben. Da sich die Ärzte nach wie vor weder die Hände wuschen noch ihre Instrumente reinigten, überlebten ihre Patienten zwar die Operation, gingen dann aber oft unter langwierigeren, erleseneren Schmerzen an einer Infektion zugrunde. Das schob man allgemein auf »Blutvergiftung«. Als Präsident James A. Garfield 1881 angeschossen wurde, starb er nicht an der Kugel, sondern daran, dass die Ärzte mit ihren ungewaschenen Fingern in der Wunde herumstocherten. Und weil man mit besseren Narkosemöglichkeiten auch mehr operierte, litten die Menschen fortan sogar noch mehr Schmerzen und Qualen.
Selbst ohne das bedrohliche Eingreifen von Ärzten konnte man in der vormodernen Welt auf vielerlei Weise zu Tode kommen. Für die Stadt London verzeichneten 1758 die Sterberegister 17 576 Sterbefälle mit mehr als achtzig Ursachen. Zumeist starben die Menschen, wie man es erwarten würde: an Pocken, Fieberkrankheiten, Schwindsucht und Altersschwäche, doch zu den verschiedensten anderen Ursachen, die aufgeführt werden, zählten:
an Fett erstickt 1
Jucken 2
erfroren 2
Antoniusfeuer 4
Schlafsucht 4
Halsschmerzen 5
Würmer 6
brachten sich um 30
französische Pocken 46
Irrsinn 72
ertranken 109 Wundbrand 154
Zähne 644
Wie genau die Leute an »Zähnen« verschieden, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben. Aber was auch die tatsächlichen Todesursachen waren, klar ist, dass Sterben ein ganz gewöhnlieher Vorgang war und die Leute damit rechneten, dass es von allen möglichen und unmöglichen Seiten auf sie zukam. Bostoner Sterberegister aus der gleichen Zeit zeigen, dass die Menschen an unerwarteten Ursachen wie »kaltes Wasser getrunken«, »Stillstand der Säfte«, »Nervenfieber« und »Erschrecken« starben. Interessant ist auch, dass viele der Todesarten, die man eher erwartet, kaum vorkommen. Von den knapp 17 600 Menschen, deren Tod 1758 registriert wurde, wurden nur vierzehn exekutiert, fünf ermordet, und vier verhungerten.
Da viele Menschen ein vorzeitiges Ende fanden, waren Ehen im vorindustriellen Zeitalter eher kurz. Im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert währte die durchschnittliche Ehe gerade mal zehn Jahre — bis es einen der beiden Partner dahinraffte. Oft nimmt man an, dass die Menschen, weil sie jung starben, auch jung heirateten, um aus der kurzen Zeitspanne, die ihnen womöglich nur gewährt war, das Beste herauszuholen. Dem war aber offenbar nicht so. Man hielt sich nämlich durchaus an das biblische »Unser Leben währet siebzig, und wenn's hochkommt, so sind's achtzig Jahre«, auf die man theoretisch ein Anrecht zu haben glaubte. Nur hielten viele Menschen nicht so lange durch. Als Beispiel für frühe Eheschließungen wird häufig das zarte Alter der Hauptfiguren in Shakespeares Romeo und Julia ins Feld geführt: Julia war gerade mal dreizehn, Romeo ein wenig älter. Warum Shakespeare sie so jung machte, wird man, wie das meiste bei Shakespeare, nie wissen. In dem Gedicht von Arthur Brooke, auf Grundlage dessen Shakespeare sein Drama geschrieben hat, sind die beiden immerhin drei Jahre älter. Aber sei's drum, im wirklichen Leben war es offensichtlich anders.
In den 1960er Jahren führte der Historiker Peter Laslett von der Stanford University eine sorgfältige Studie der britischen Eheregister durch und fand heraus, dass frühe Eheschließungen, seit es Aufzeichnungen gibt, nie üblich waren. Zwischen 1619 und 1660 waren zum Beispiel 85 Prozent der Frauen neunzehn oder älter, und nur eine von tausend war dreizehn oder jünger. Das durchschnittliche Alter bei der Hochzeit war für die Braut dreiundzwanzig und sieben Monate und für den Bräutigam fast achtundzwanzig Jahre — kein großer Unterschied zu heute. William Shakespeare war ungewöhnlich jung, als er mit achtzehn heiratete, während seine Frau Anne mit sechsundzwanzig ungewöhnlich alt war. Die meisten Eheschließungen in sehr jungen Jahren waren formale sponsalia de futuro, also eher Absichtserklärungen für die Zukunft als ein Projekt, gleich miteinander ins Bett zu springen.
Richtig ist allerdings, dass es viel mehr verwitwete Menschen gab und dass sie nach dem schmerzlichen Verlust des Partners häufig und schnell wieder heirateten. Für Frauen war es meist eine ökonomische Notwendigkeit, Männer wollten jemanden haben,
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