Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
vor dem man Angst haben musste. Viele empfanden sie als deutliche Botschaft von Gott: Es war die gerechte Strafe, die einem widerfuhr, wenn man außerehelichen Geschlechtsverkehr hatte.
Wie erwähnt, gab es die Krankheit schon lange. 1495, nur drei Jahre nachdem sie mit Christoph Kolumbus nach Europa gelangt war, entwickelten Soldaten in Italien im Gesicht und am ganzen Körper Pusteln »wie Hirsekörner«, und das ist wahrscheinlich die erste medizinische Beschreibung der Syphilis in Europa. Sie verbreitete sich rasch — so rasch, dass die Leute sich nie darauf einigen konnten, wo sie herstammte. Im Englischen wurde sie als »französische Pocken« zum ersten Mal 1503 erwähnt. Anderswo firmierte sie, je nach dem Schuldigen, dem sie zugeschrieben wurde, unter den Namen »spanische Krankheit«, »keltische Körpersäfte«, »neapolitanische Pocken« oder, auch sehr typisch, bei den Türken als »christliche Krankheit«. Die Bezeichnung Syphilis wurde von dem Italiener Girolamo Fracastoro 1530 geprägt; in einem seiner Gedichte (»Syphilis oder die französische Krankheit«) heißt ein Schäfer, der die Krankheit wegen Gotteslästerung kriegt, Syphilus. Im Englischen taucht der Begriff »syphilis« erst 1718 auf.
Die Krankheit war lange deshalb so beängstigend, weil sie in drei jedes Mal schlimmeren Stadien auftrat. Im ersten Stadium zeigte sie sich normalerweise als harter Schanker am Geschlechtsteil, hässlich, aber schmerzlos. Darauf folgte später ein zweites Stadium, in dem man von den verschiedensten Wehwehchen bis zu Haarausfall alles kriegen konnte. Wie die Symptome aus dem ersten Stadium gingen auch diese mit oder ohne Behandlung nach etwa einem Monat vorbei. Für zwei Drittel der Betroffenen war's das dann auch. Die Krankheit war ausgestanden. Für das unglückliche letzte Drittel kam der wirkliche Horror erst noch. Nach bis zu zwanzig Jahren Latenzzeit brach das Leiden erneut aus, und das war das Stadium, das Sie Ihrem ärgsten Feind nicht wünschen. Unerbittlich und gnadenlos fraß die Syphilis den Körper auf, zerstörte Knochen und Gewebe. Häufig zerfielen Nasen und verschwanden einfach. (In London gab es eine Zeitlang einen »Club der Nasenlosen«.) Der Gaumen im Mund zerfiel. Das Absterben von Nervenzellen verwandelte das Opfer in ein taumelndes Wrack. Die Symptome waren unterschiedlich, aber alle furchtbar. Doch trotz der Gefahren gingen die Leute in erstaunlichem Maße Risiken ein. James Boswell holte sich in dreißig Jahren neunzehn Mal eine Geschlechtskrankheit.
Die Behandlungsarten für Syphilis waren brachial. Ganz am Anfang injizierte man eine Bleilösung durch die Harnröhre in die Blase. Dann wurde Quecksilber eingesetzt, und zwar bis zur Erfindung der ersten Antibiotika im zwanzigsten Jahrhundert. Vom Quecksilber bekam der Patient alle möglichen Vergiftungserscheinungen — die Knochen wurden porös, die Zähne fielen aus —, aber es gab keine Alternative. Dabei heilte das Quecksilber die Krankheit beileibe nicht; es milderte die schlimmeren Symptome und rief andere hervor.
Vielleicht trennt uns nichts deutlicher von der Vergangenheit als der Umstand, wie unglaublich wenig wirksam — und oft furchterregend unangenehm — ärztliche Behandlungen früher waren.
Außer bei einigen wenigen Krankheiten waren die Ärzte machtlos, und oft verschlimmerten sich die Leiden durch ihr Eingreifen nur. In vieler Hinsicht waren die Kranken am besten dran, die still für sich litten und versuchten, ohne ärztliche Intervention wieder gesund zu werden.
Wehe, wenn man operiert werden musste. Bevor Narkosemittel erfunden waren, wurden viele Wege ausprobiert, Schmerz erträglicher zu machen. Zum Beispiel ließ man den Patienten zur Ader, bis er ohnmächtig wurde. Oder man injizierte ihm eine Tabakinfusion ins Rektum (da war er wenigstens gut abgelenkt). Am weitesten verbreitet war die Verabreichung von Opiaten, hauptsächlich Laudanum, doch selbst die großzügigste Dosis konnte heftige Schmerzen nicht betäuben.
Bei Amputationen entfernte man Glieder normalerweise in weniger als einer Minute, der übelste, am meisten traumatisierende Schmerz war also schnell vorüber. Doch da man Gefäße abbinden und die Wunde nähen musste, blieb für anschließende Pein noch ausreichend Zeit und Gelegenheit. Die Ärzte mussten schnell arbeiten, darauf kam's an.
Als Samuel Pepys sich 1658 einer Lithotomie (Entfernung eines Blasensteins) unterziehen musste, brauchte der Chirurg gerade mal fünfzig Sekunden, um in
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