Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
sich die Chirurgen wirklich gut mit Körpern auskennen, denn da man nicht in aller Gemütsruhe zwischen Arterien und Organen herumstochern konnte, wenn der Patient vor Schmerzen schrie und das Blut nur so aus ihm spritzte, war Schnelligkeit das Gebot der Stunde. Um schnell zu sein, musste man sich auskennen, was wiederum nur nach viel fleißiger Beschäftigung mit Toten möglich war. Der Mangel an Kühlmöglichkeiten bedeutete außerdem, dass das Fleisch schnell verdarb, ergo auch deshalb der Bedarf an frischem Nachschub konstant hoch war.
Um Räuber gar nicht erst zum Zuge kommen zu lassen, bewahrten besonders die Armen ihre lieben Verstorbenen so lange auf, bis sie anfingen zu verwesen und deshalb wertlos wurden. Edwin Chadwicks Bericht über die hygienischen Lebensbedingungen der arbeitenden Klassen Großbritanniens strotzte von gruseligen, schockierenden Einzelheiten dieser Praxis. In manchen Stadtteilen, wusste er zu erzählen, bahrten Familien einen Toten eine Woche oder länger im Wohnzimmer auf und warteten darauf, dass die Verwesung einsetzte. Nicht selten, sagte Chadwick, fand man spielende Kinder unter den Maden, die auf den Teppich plumpsten. Der Gestank haute einen natürlich glatt um.
Auf den Friedhöfen verstärkte man die Sicherheitsmaßnahmen und stellte bewaffnete Nachtwächter ein. Da sich damit das Risiko, festgenommen und verprügelt zu werden, beträchtlich erhöhte, mordeten einige »Auferstehungsmänner«, wie sie im Volk hießen, lieber, um an Leichen zu kommen. Das erschien sicherer. Die berüchtigtsten und fleißigsten waren William Burke und William Hare, irische Einwanderer in Edinburgh, die von November 1827 an in weniger als einem Jahr mindestens fünfzehn Menschen umbrachten. Ihre Methode war so primitiv wie effektiv. Sie freundeten sich mit den heruntergekommensten Obdachlosen an, machten sie betrunken und erstickten sie. Der stämmige Burke setzte sich auf ihre Brust, und Hare hielt ihnen den Mund zu. Dann brachten sie sie flugs zu Professor Robert Knox, der für jede frische, rosige Leiche zwischen sieben und vierzehn Pfund zahlte. Knox muss gewusst haben, dass da etwas über die Maßen Dubioses ablief — zwei irische Trunkenbolde tauchten regelmäßig mit extrem frischen Leichen auf —, aber er behauptete später, es sei nicht seine Aufgabe, Fragen zu stellen. Wegen seiner Rolle bei diesen Verbrechen wurde er später gesellschaftlich geächtet, aber nie vor Gericht gestellt oder bestraft. Hare entkam dem Strang, indem er Kronzeuge wurde und anbot, gegen seinen Freund und Partner auszusagen. Das erwies sich als unnötig, denn Burke legte ein umfassendes Geständnis ab und wurde rasch gehängt. Seine Leiche überließ man einer anderen Anatomiefakultät zum Sezieren, legte Stücke von seiner Haut ein und verehrte sie besonderen Besuchern noch jahrelang als Andenken.
Hare verbrachte trotzdem nur wenige Monate im Gefängnis und wurde dann entlassen. Doch das Schicksal meinte es nicht gut mit ihm. Er nahm Arbeit in einem Kalkbrennofen an, wo ihn seine Kollegen erkannten, ihn mit dem Gesicht in einen Haufen ungelöschten Kalk stießen und er erblindete. Angeblich verbrachte er seine letzten Jahre als Wanderbettler. Nach manchen Berichten ist er nach Irland zurückgekehrt, nach anderen nach Amerika emigriert, doch wie lange er noch lebte und wo er begraben wurde, ist nicht bekannt.
Solche Vorkommnisse führten verstärkt zu einer anderen Art, mit Leichen umzugehen, die aber im neunzehnten Jahrhundert überraschend umstritten war: der Verbrennung. Die neu gegründete Gesellschaft zur Förderung der Feuerbestattung hatte nichts mit Religion oder Spiritualität zu tun. Es ging nur um einen praktischen Weg, eine Menge Leichen sauber, effizient und umweltfreundlich loszuwerden. Sir Henry Thompson, Gründer der Cremation Society of England, demonstrierte 1874 die Leistungskraft seiner Öfen mit der Verbrennung eines Pferdes in Woking. Es klappte perfekt, verursachte aber einen Aufschrei der Empörung unter den Menschen, denen die Vorstellung, ein Pferd oder überhaupt ein Tier zu kremieren, gefühlsmäßig zuwider war.
In Dorset baute ein Hauptmann Hanham selbst ein Krematorium und beseitigte wider die Gesetze sehr effizient seine Frau und seine Mutter.
Andere, die Angst hatten, verhaftet zu werden, schickten ihre teuren Anverwandten in Länder, wo Verbrennung legal war. Charles Wentworth Dilke, der Schriftsteller und Politiker, mit Joseph Paxton einer der Begründer des Gardener's
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